Mascha Drost: Alles muss raus, alles muss zurück – sofort und ohne weitere Provenienzforschung. Was die französische Kunsthistorikerin Benedicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr fordern, ist nicht weniger als eine Revolution im Umgang mit kolonialer Raubkunst.
Alle Objekte, die im Zuge militärischer Aktionen erbeutet wurden, sollen zurückgegeben werden. Erstens. Zweitens: Bei Objekten, die nach 1960 in die Museen kamen, muss nachgewiesen werden, dass dies auf legalem Weg geschah. Damit wird die Beweislast umgekehrt.
Das ausgearbeitete Papier mit diesen Forderungen wird morgen dem französischen Präsidenten ausgehändigt, der ja sehr vollmundig über die Restitution gesprochen hat – Das afrikanische Kulturerbe darf nicht länger Gefangener europäischer Museen sein – twitterte er, ganz der Europäer als den man ihn vor allem in Deutschland so schätzt.
Auch in diesem Fall? Zumindest bei deutschen Museumsdirektoren sind da Zweifel angebracht, denn sollte Frankreich tatsächlich ohne Wenn und Aber restituieren, käme Deutschland natürlich in Zugzwang.
Was der französische Vorstoß für Deutschland bedeuten könnte, habe ich vor der Sendung mit Markus Hilgert besprochen, er ist Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und war vorher Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin.
Aussöhnung mit den Gesellschaften
Markus Hilgert: Zunächst einmal glaube ich, dass die Rückgabe ein Thema ist, das wir nicht tabuisieren dürfen. Ich glaube, dass es wichtig ist, über Rückgabe offen zu sprechen und auch über die Konsequenzen, die das bedeutet. Denn das Ziel ist ja nicht die Rückgabe; das Ziel ist die Aussöhnung mit den Gesellschaften, denen Schaden zugefügt worden ist. Und da ist sicher eine der Handlungen, eine der Handlungsoptionen die Rückgabe entsprechender Kulturgüter, aber es ist sicher nicht die einzige Handlungsoption. Und natürlich muss man sich darauf verständigen, wie eine solche Rückgabe oder eine solche Rückführung dann auch bewerkstelligt werden kann, denn nach allem, was wir bis jetzt über den Bericht wissen – wir haben ihn ja noch nicht lesen können, weil er noch nicht veröffentlicht ist -, aber nach allem, was wir wissen, geht es ja auch darum, dass Objekte zurückgefordert werden sollen, dass nicht einfach alles zurückgegeben wird, sondern dass eine Rückforderungsanfrage des jeweiligen Landes bestehen muss. Insofern müssen wir uns, glaube ich, doch noch mal darüber verständigen, wie das denn konkret geschehen soll.
Drost: Ich höre daraus, korrigieren Sie mich bitte, dass Sie ein bisschen zögerlich sind, was diese Forderung betrifft. Welche Argumente gibt es denn dagegen und halten sie einer genauen, nicht zuletzt auch moralischen Prüfung überhaupt Stand?
Wichtige und komplexe Herausforderung
Hilgert: Ich glaube, man muss wirklich überlegen, wie man es gut macht, denn natürlich geht es darum, Verantwortung zu übernehmen für vergangenes Unrecht. Und da geht es ja auch darum, die Objekte an die richtigen Gesellschaften oder an die richtigen Personen oder den richtigen Staat zurückzugeben. Dafür ist meines Erachtens doch Provenienzforschung notwendig. Im Übrigen ist es ja auch so: Diese Provenienzforschung ist ja auch eine, die uns etwas über die Objekte sagt und die vielleicht auch in den Herkunftsgesellschaften sehr wichtig ist. Die Herausforderung, mit der wir es hier zu tun haben, ist enorm komplex. Sie ist enorm wichtig. Und es ist vor allen Dingen enorm wichtig, dass wir uns gut verhalten, dass wir wirklich auch tun.
Drost: Aber könnte man gerade mit dieser Erklärung nicht diesen Gordischen Knoten zerschlagen, aus Provenienzforschung, aus Rückforderungen, aus Angst davor, die Stücke nicht behalten zu können, aber sie auch nicht zurückgeben zu wollen?
Hilgert: Einen Gordischen Knoten zu zerschlagen, würde ja bedeuten, dass bislang auf diesem Gebiet nichts geschehen ist. Das stimmt ja nicht. Man setzt sich ja mit unterschiedlichen …
Drost: Ja, aber nicht so viel, oder?
Hilgert: Na ja. Man muss tatsächlich dann doch aber auch die Größe des Problems sich vor Augen führen. Das sind Millionen und Abermillionen Objekte, um die es geht. Denn es geht ja nicht nur um die Objekte aus Afrika, sondern wenn wir über koloniales Erbe oder Objekte aus kolonialem Kontext sprechen, geht es auch zum Beispiel um Objekte aus Lateinamerika. Und die Institutionen müssen Transparenz herstellen. Sie müssen Provenienzforschung betreiben. Und es müssen Mechanismen gefunden werden, juristische Mechanismen, mit denen eine Rückgabe möglich ist. Auch das sagt ja offenbar der Bericht, dass man juristische Instrumente finden muss. Und all das muss politisch gewollt sein und es muss gemacht werden, und insofern bitte Zurückhaltung, was einfache Lösungen angeht, denn das ist ja möglicherweise auch nicht immer das, was die Herkunftsgesellschaften wollen. Wichtig ist, zu einem Punkt zu gelangen, wo man einen Dialog auf Augenhöhe führt mit den Herkunftsgesellschaften, so dass Wiedergutmachung tatsächlich auch möglich ist.
Drost: Nun war Frankreich ja eine viel bedeutendere Kolonialmacht als Deutschland, und trotzdem finden sich ja auch in deutschen Museen Unmengen geraubter Objekte und der Umgang mit ihnen ist schwierig. Wie sollten sich denn deutsche Museen verhalten? Sollten sie sich diese französischen Forderungen vielleicht nicht doch zum Vorbild nehmen? Oder lassen sich diese Forderungen überhaupt auf deutsche Museen übertragen?
Rückgabe ist nur ein Mittel
Hilgert: Natürlich lassen sie sich übertragen, denn auch in deutschen Museen liegen, wie Sie zurecht sagen, Objekte, die aus einem kolonialen Kontext stammen. Und wir wissen ja aus dem hervorragenden Leitfaden des Deutschen Museumsbundes, dass Objekte aus kolonialem Kontext nicht nur solche sind, die aus einer formalen kolonialen Beherrschung stammen, sondern auch solche, wo es um Macht-Asymmetrien geht.
Ich glaube, es ist zweierlei wichtig. Wir brauchen – und das hat der Deutsche Museumsbund wirklich hervorragend gemacht – eine kategoriale Klärung des Problems. Wir müssen verstehen, womit wir es zu tun haben und wie umfassend das Problem ist. Aber wir brauchen auch eine politische Positionierung, und in dem Zusammenhang haben ja Bund und Länder vereinbart, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzusetzen, die bald ihre Arbeit aufnehmen soll und die sicher dann auch eine gemeinsame politische Positionierung erbringen wird, aus der dann aber auch klar und deutlich hervorgehen muss, was man zu tun gedenkt und wie man in den nächsten Jahren mit diesem Problem ganz konkret und proaktiv umgehen will.
Drost: Lieber eine neue, eine deutsche Arbeitsgruppe, als auf die Ergebnisse von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr sich zu stützen?
Hilgert: Nein! Man muss natürlich diesen Bericht sehr ernst nehmen. Man muss ihn vor allen Dingen zunächst einmal lesen. Und dann wird es natürlich sehr interessant sein zu sehen, was der französische Präsident an politischen Konsequenzen aus diesem Bericht zieht und welche politischen Handlungen er dann in die Wege leitet. Und Deutschland wird sicher hier nicht zurückstehen können. Wichtig ist, dass wir für unsere Verhältnisse und für die Problemstellungen hier in Deutschland zu einer guten Lösung kommen. Das Ziel muss die Aufarbeitung der schwierigen kolonialen Geschichte sein, und da ist die Rückgabe wirklich nur ein Mittel. Da ist aber auch die Reflexion auf das, was koloniale Beherrschung auch mit deutschen Institutionen und unserer Geistesgeschichte gemacht hat, enorm wichtig. Wir haben es mit einer Generationenaufgabe zu tun und da werden wir noch viel reden, nachdenken, aber vor allen Dingen auch tun müssen.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht