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Koloniale Skelettsammlungen
Leichen im Keller

In den Kellern deutscher Museen lagert ein skurriles Erbe: Zehntausende menschlicher Schädel, Knochen und ganzer Skelette schleppten Wissenschaftler der Kolonialzeit einst nach Hause, vermaßen sie, stellten sie aus und zogen teils menschenverachtende Schlüsse. Die Knochen sind immer noch da – und werden mehr und mehr zu einem Problem.

Von Michael Stang |
    Menschliche Schädel in der historischen anatomischen Sammlung des Museums der Natur in Gotha.
    Menschliche Schädel in der historischen anatomischen Sammlung des Museums der Natur in Gotha. (picture-alliance/ZB - Martin Schutt)
    Was soll mit den Gebeinen geschehen? Sollen, können oder müssen sie in den Archiven bleiben, da sie einen wissenschaftlichen Wert haben? Oder müssen sie zwingend zurückgegeben werden? Und wenn ja, wohin und an wen?

    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "Ich ersuche Sie hiermit um die Erlangung einer möglichst großen Anzahl von Schädeln oder von ganzen Skeletten."
    Herero und Nama wurden damals Opfer eines brutalen Vernichtungskrieges.
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "Beim Einlaufen der ersten Sendung hat sich gezeigt, dass die ohne weitere Schutzmaßnahmen in Blechbüchsen gelegten Köpfe Abplatzungen aufweisen."
    Die kaiserlichen Truppen trieben sie mit Gewehrsalven in die Wüste, wo sie elend verdursteten. Männer, Frauen, Kinder.
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "(Sollten sie in die Lage kommen, Gräber zu öffnen, so würde bei jedem Skelett oder Schädel unbedingt aus den mündlichen Angaben zu ermitteln sein, ob Mann oder Frau vorliegt.) Kinderskelette haben keinen Wert oder doch nur sehr geringen. Beigaben sind natürlich mitzunehmen."
    Der Völkermord an den Nama und den Herero wurde 1948 von den Vereinten Nationen anerkannt. Die deutsche Bundesregierung hat sich dieser Feststellung bislang nicht angeschlossen, und auch ein anderes Erbe ist ungeklärt. In akademischen und musealen Sammlungen lagern bis heute menschliche Gebeine mit sogenanntem "Unrechtskontext". Abenteurer brachten sie aus den Kolonien ins Deutsche Reich, oft auf ausdrückliche Bestellung von Wissenschaftlern, die damit ihre menschenverachtende Rassenforschung betrieben. Längst herrscht Einigkeit, dass dies Irrwege waren - doch die Knochen sind immer noch da.
    Die Villa von der Heydt in Berlin ist der Amtssitz von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Diese verwaltet mittlerweile einige der heiklen Skelettsammlungen.
    "Die Charité war nicht mehr imstande, sie sachgerecht zu lagern, die waren in einem wirklich sehr, sehr schlechten Zustand, von Schimmel befallen, auch unsachgemäß gelagert, auch die Frage der Beschriftung, der Etiketten, um sie zuordnen zu können."
    Auch in den Kellern der Universitätsklinik lagen alte Schädel, dazu Kisten voller Knochen, ganze Skelette. Feuchtigkeit hatte ihnen zugesetzt, Mikroben begannen zunehmend, das Material zu zersetzen.
    "Und das haben wir gemeinsam mit der Charité bearbeitet und jetzt im Grunde diese Sammlungen wieder in einen würdigen Zustand gebracht, wieder - kann man schon sagen - gerettet."
    Jahrzehntelang hatte sich niemand um diese Hinterlassenschaft gekümmert, doch jetzt stellte sich die große Frage: Was sollte mit diesem Erbe geschehen? Zurückgeben oder bestatten? Nicht in jedem Fall eine Option.
    "Wenn man weder weiß, aus welchem Jahrhundert oder Jahrtausend es kommt, noch von welchem Ort der Welt, ist es ja in gewisser Weise wertlos, dennoch würde ich jetzt zögern zu sagen, das entsorgt man dann."
    Die Charité in Berlin.
    Die Charité in Berlin. (imago/Schöning)
    Südöstlich von Berlin findet sich Köpenick. Dort, im Stadtteil Friedrichshagen, entsteht gerade der zentrale Speicherstandort der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In einem Gebäude lagern mittlerweile auch die alten Skelettsammlungen der Charité. Das Areal ist umzäunt, nur angemeldeten Besuchern wird die Schranke geöffnet. Matthias Wemhoff, Landesarchäologe und Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, passiert einige Türen und Treppen:
    "Ja, jetzt sind wir also in dem Magazingebäude. Ja und vielleicht schauen wir uns das einfach mal an. Also das steht alles in ganz neuen Kisten, ganz neu verpackt."
    Ein Raum von rund 30 Quadratmetern. In Reihen einfache Stahlregale.
    "Also etwa 15.000 Kartons wird's hier schon geben."
    Um den Verfall aufzuhalten, durchliefen die Schädel vor dem Umzug eine Anlage, in der mit Gasen sämtliche Mikroorganismen abgetötet wurden.
    "Wir sind jetzt hier im Raum, wo ein Teil der S-Sammlung untergebracht ist, also das ist die Sammlung, die über die Charité zu uns gekommen ist, das ist eigentlich die alte anthropologische Universitätssammlung."
    S steht für Schädel beziehungsweise Skelett. Die S-Sammlung hat etwa 8.000 Objekte.
    Matthias Wemhoff hebt den Deckel von einer Kiste. Fünf Schädel werden sichtbar - einzeln in weißen, offenen Papiertüten verpackt:
    "Ich will den jetzt nicht rausnehmen, damit wir den nicht mit unserer Genetik verändern. Aber hier kann man drauf erahnen, dass da eine Nummer geschrieben ist."
    Die meisten Objekte sind mit Tinte beschriftet.
    "Das erkennt man an der Nummer RV, die auf die Sammlung Rudolf Virchow hinweist."
    Einige Schädel haben eine alte Archivnummer, viele nicht. Unterlagen, woher die Schädel stammen, wie und auf welchem Weg sie nach Berlin gekommen sind: Mangelware.
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "Die ganze außerordentliche Wichtigkeit, welche die Erwerbung einiger Nikobarenschädel für die Anthropologie besitzt, lies mich leicht alle Bedenken an einer derartigen Exhumation überwinden und bei der Ausgrabung des Schädels [...] selbst Hand anlegen."
    AN 26927, NC 1193 ...
    Wemhoff: "Also, das ist also eigentlich das Entscheidende, wenn man eine Beschriftung da drauf hat, also dass die Nummer auf dem Schädel ja aufgemalt ist."
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "Ich halte es für wissenschaftlich durchaus erforderlich, auch Gehirne niederer Menschenrassen zur Untersuchung heranzuziehen "
    Charité - Universitätsmedizin Berlin. Die Auswahlverfahren für das nächste Semester laufen. Ein neues Bettenhochaus wird gerade gebaut. Fast ein Jahrhundert hat die Charité vergehen lassen, bevor sie mit der Aufarbeitung der kolonialen Forschungsaltlasten begonnen hat, sagt Andreas Winkelmann. Er ist für die Sammlungen der Anatomie verantwortlich:
    Ein Herero-Totenschädel aus der Sammlung der Charité
    Ein Herero-Totenschädel aus der Sammlung der Charité (picture alliance / dpa / Gudath)
    "Also, es gab Anfragen aus Australien und aus Namibia."
    Die ersten Anfragen 2008 seien lose und allgemein gehalten gewesen. Denn weder die Vertreter Namibias noch die Australiens wussten, wie viele sogenannte Human Remains in den Sammlungen der Charité lagerten. Eine erste Recherche zeigte, dass es Dutzende Schädel sein mussten.
    "Es gab schon eine große Sammelwut. Das war die damalige Art Wissenschaft zu betreiben, also die Natur zu klassifizieren, einzuordnen durch solche Sammlungen und wollte aus jedem Land der Erde möglichst viele solche Schädel oder Skelette haben, um daran dann forschen zu können."
    Die Leitung der Charité wollte sie zurückgeben, erzählt Winkelmann:
    "Wir haben aber gemerkt, dass wir im Grunde nicht in der Lage sind, vernünftig solche Anfragen zu beantworten, weil wir selbst viel zu wenig über diese Sammlungen wissen und nur bedingt mit Sicherheit sagen können, wo sie eigentlich herstammen."
    Im Laufe der Jahrzehnte - unter verschiedenen politischen Systemen - wurden Sammlungen mehrfach umgelagert, dann kamen einige Objekte hinzu, andere verschwanden. Welche der 6.000 Individuen im Zuge eines sogenannten Unrechtskontextes nach Berlin gekommen waren, konnte nicht beantwortet werden. Andreas Winkelmann und seine Kollegen beantragten bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Finanzmittel. Ende 2010 konnte das Charité Human Remains Project starten.
    In die Anatomie hat sich auch Holger Stoecker begeben, der als Historiker die Herkunft der Menschen rekonstruieren sollte. Es wurde schwieriger als gedacht:
    "Da gibt es oft Vorstellungen über die Akkuratheit der Sammlungsführung in den letzten Jahrhunderten, die an den Realitäten völlig vorbeigehen."
    Stoecker und Winkelmann konzentrierten sich zunächst auf Schädel, bei denen klar war, dass sie aus den Konzentrationslagern auf der Haifischinsel vor der Lüderitzbucht stammten. Überlebende Hereros und Namas, waren dort interniert worden, ein Unrechtskontext lag zweifelsfrei vor, so Winkelmann:
    "Und haben dann, weil da ein gewisser Druck da war, 2011 gesagt, wir geben jetzt schon mal 20 Schädel zurück, bei denen wir sehr sicher sind, dass sie aus Namibia sind und dass sie tatsächlich in dem Fall auch aus dem Krieg gegen die Herero und Nama stammen."
    Die kurzfristig anberaumte Rückführung habe das ganze Projekt zum Stocken gebracht, aber spätestens bei der festlichen Rückgabe sei vielen Beteiligten bewusst geworden, wie schwer das koloniale Erbe wog. Und wie viel Arbeit noch vor ihnen lag. Holger Stoecker:
    "Es gibt in der Charité Sammlungen, die Human Remains aus Namibia enthalten. Völlig unklar war, in welchem Umfang. Das musste erst mal herausgefunden werden, weil diese Objekte oft nur bezeichnet sind mit den Stammesnamen, mit den damaligen ethnischen Gemeinschaften wie sie damals bezeichnet worden sind, also "Buschmann", "Hottentotten", "Herero" und so, das sind die damaligen kolonialen Bezeichnungen."
    Ob Verdrängungsprozesse eine Rolle spielten oder einfach Unwissenheit herrschte, lässt sich im Einzelfall nicht rekonstruieren. Aber an einigen Skelettmaterialien wurde noch lange geforscht. Winkelmann:
    "Es gibt Arbeiten bis in die 90er-Jahre hinein, wo jemand dann kam und eine Frage hatte zu Zähnen oder zu einer bestimmten Knochenstruktur am Schädel, die er in einer größeren Sammlung untersuchen wollte."
    Späte Rückkehr
    2013 hat die Charité die Gebeine von 33 indigenen Australiern zurückgegeben, 2014 die menschlichen Überreste von 14 Individuen erneut an Australien, im selben Jahr einen Schädel nach Tasmanien und ebenfalls 2014 gab es eine zweite Rückführung nach Namibia: mit Gebeinen der Volksgruppen der Herero, Nama, San, Damara und Ovambo. Winkelmann:
    "Es sind jetzt noch weitere 15 bei uns, die der namibischen Botschaft auch mitgeteilt sind und die nur darauf warten, dass ein Termin gefunden wird für eine weitere Rückgabe."
    Das DFG-Projekt ist mittlerweile ausgelaufen, die Arbeit aber noch lange nicht abgeschlossen.
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit: "Im Interesse wissenschaftlicher Forschung die Erde umschiffend, bedurfte es nicht erst, wie beim einsamen Reisenden eines längeren Aufenthaltes an einem Orte, oder der Gunst des Zufalles. [...] Fast überall beeilte man sich, unserer Absichten kennenzulernen und unseren Wünschen zuvorzukommen"
    Winkelmann: "Also, wir hatten uns deutlich mehr vorgenommen damals. Wir wollten auch Sammlungsbestände untersuchen, für die keine Rückfragen vorliegen. Das haben wir letztlich nie geschafft."
    Sitwala Mapenzi begrüßt seinen Besuch mit einem freundlichen Lächeln in der Goldstein-Villa. Er ist Gesandter Namibias, kommissarischer Botschafter und damit auch direkt involviert in bereits erfolgte Rückgaben und weitere offene Rückgabeforderungen.
    2007 habe der damalige Botschafter Katjavivi Informationen erhalten, dass sich in deutschen Museums- und Universitätsarchiven noch immer zahlreiche namibische Gebeine befanden. Viele direkte und lose Anfragen an die bestreffenden Institutionen seien nicht beantwortet worden:
    Zeugen des Verbrechens: Herero-Krieger in deutscher Gefangenschaft
    Zeugen des Verbrechens: Herero-Krieger in deutscher Gefangenschaft (AP)
    "Und die deutsche Regierung sagt weiter: Das liegt nicht in unserer Verantwortung, dafür sind die Kultusministerien zuständig. Aber, wie kann das sein? Die Regierung ist doch für ihre Museen und Mitarbeiter verantwortlich!"
    Selbst bei den beiden erfolgten Rückgaben sei nicht alles glatt gelaufen.
    "Bei der ersten Rückgabe 2011 wollte die deutsche Regierung nicht involviert werden. Bei der zweiten im vorigen Jahr hat sich immerhin das Außenministerium gekümmert, dass alles seine Ordnung hat, aber eine Verantwortung wollte niemand übernehmen. Wir würden es befürworten, wenn die Regierung sich da mehr einbringt und diese Angelegenheit regelt, schließlich sind die betroffenen Museen doch ein Teil von Deutschland."
    Die Diskussion hinsichtlich des Umgangs mit Skelettmaterialien aus der Kolonialzeit hat in Deutschland erst sehr spät eingesetzt. Andere Länder haben dies viel früher getan. Die Anthropologin Myra Giesen von der Newcastle University hat versucht, sich einen Überblick der Institutionen in England, Schottland, Wales und Nordirland zu verschaffen:
    "Aktuellen Schätzungen zufolge beherbergen die Sammlungen in England allein schon mehr als 100.000 Individuen, hinzukommen noch 2.500 in Schottland. Aber das sind nur die Daten von einigen, wenigen Museen. Ich vermute, dass die Zahl wesentlich höher ist. Daher brauchen wir eine zentrale Datenbank und nicht mehrere kleine."
    Um die Sammlungen ansatzweise kontrollieren zu können, gab es in den vergangenen Jahren Gesetzesänderungen. Museen benötigen seither Lizenzen. Diese sind bewusst teuer und an zahlreiche Standards gebunden, etwa bei welcher Temperatur und Luftfeuchtigkeit menschliche Überreste gelagert werden dürfen. Doch auch im Vereinigten Königreich kommt man nur langsam voran:
    "Schwierig ist die Datenerhebung auch, weil viele Museen nicht wollen, dass ihre Sammlungen online zugänglich sind, vor allem oder gerade weil es um Leichname und Skelette geht. Da spielt die Angst mit, dass es zu Rückforderungen kommt."
    Und so schließen viele einfach die Türen. Andere übergeben ihre Sammlungen größeren Museen - und wieder andere bringen die Skelette zum Krematorium.
    "Ja, mein Name ist Heiko Wegmann, aus Freiburg. Ich bin Diplom-Sozialwissenschaftler und betreibe das Projekt Freiburg-postkolonial."
    Heiko Wegmann hatte 2004 - anlässlich 100 Jahre Herero-Krieg - angefangen, sich intensiv mit der deutschen Kolonialgeschichte im damaligen Deutsch-Südwestafrika zu befassen. Er habe rasch bemerkt, dass dieser Teil der Geschichte auch in Deutschland tiefe Spuren hinterlassen hat. Manche Kritiker sprechen gar von einer Art kolonialer Amnesie - in Politik und Wissenschaft, sagt Wegmann:
    "Es gibt Wissenschaftler und Institutionen, bei denen prinzipiell ein Problembewusstsein mittlerweile da ist. Auf der anderen Seite gibt es auch diese Position: Na ja, viele Schädel, man weiß ja nicht genau, wie die hergekommen sind und man kann doch nicht pauschal von einem Unrechtskontext reden und es hat ja auch Ethnien gegeben, die selber Schädel getauscht oder verkauft haben und so was. Und das finde ich völlig inakzeptabel!"
    Menschenschädel als Sammelgut
    Einige dieser "Problem-Schädel" befinden sich in der sogenannten Alexander-Ecker-Sammlung. Sie wurde um 1860 gegründet und speiste sich größtenteils aus Schädeln aus Deutschland. Einige der rund 1.600 Schädel stammen aber auch von Ureinwohnern aus Australien und Nordamerika. Und aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika.
    Zuständig für die Sammlung ist Dieter Speck. Vom Büro des Archivars sind es nur ein paar Schritte durch die Stadt.
    "Wir müssen da rüber. Dass der Ecker zum Beispiel seinen Kollegen, ob jetzt Geografen, Geologen oder Ethnologen, sagte: Ah; du kommst ja nach Asien oder so was, bring mir mal was mit! Und dann haben die alles Mögliche - was wir heute sagen, ethnologisch, ethnografisch -, die haben Holzmasken mitgebracht. Da waren halt Schädel dabei, es waren irgendwelche Abnormitäten - ein wildes Sammelsurium."
    Auch in Freiburg ist - ähnlich wie in Berlin - die Dokumentation der Sammlung kaum vorhanden. Das Eingangsbuch wurde im Krieg zerstört, historische Unterlagen, die die Zuordnung einiger Objekte hätten klären können: kaum vorhanden.
    "Da gibt es dann auch Briefe, wo es dann heißt: Er bringt ihnen fünf Schädel mit. Aber woher kommen die?"
    Dieter Speck bleibt vor einem großen Gebäude stehen.
    "Im Untergeschoss haben wir einen größeren Depotraum, in dem die Sammlung von Alexander Ecker untergebracht ist. Generell gibt es zu dieser Sammlung keinen Zugang für Dritte, da gibt es einen Rektoratsbeschluss."
    Einzige Ausnahme in den vergangenen Jahren wurde bei einer offiziellen Vertreterin aus Namibia gemacht.
    Speck: Wenn Sie vor dem Raum stehen, sehen Sie nur eine schlichte weiße Tür, dahinter befindet sich eine Regalflucht. Der Raum hat etwa 100 Quadratmeter. Es hält sich also durchaus in Grenzen und die Sammlung umfasst etwa 250 Regalmeter.
    Die Individuen hinter den Schädeln
    Wittwer-Backofen: "Skelettsammlungen sind für uns besonders wertvoll insofern, als sie historische Lebensbedingungen konservieren praktisch, die wir in den Skeletten dort ablesen können."
    Nur ein paar Hundert Meter liegen zwischen der Ecker-Sammlung und dem Büro von Ursula Wittwer-Backofen. Sie interessiert sich für die Individuen hinter dem Schädel: für Geschlecht, Sterbealter; gesundheitliche Verfassung. Die Analyse-Methoden entwickeln sich weiter. Auch Wanderungsbewegungen oder frühere Umweltverhältnissen können die Knochen inzwischen preisgeben.
    "Als ich vor 13 Jahren nach Freiburg auf die Professur berufen wurde, war es natürlich einer der ersten Punkte, das, was hier an Potenzial vorhanden ist, zunächst einmal auszuloten."
    Ursula Wittwer-Backofen begab sich in die Ecker-Sammlung.
    "Ich habe aber sehr schnell festgestellt, dass die Sammlung in dem jetzigen Zustand so gar nicht für uns als Forschungsgegenstand nutzbar ist, weil eben die Dokumentation vielfach verschwunden ist, dadurch dass über die beiden Weltkriege hinweg Material verloren gegangen ist, die Sammlung mehrfach umgelagert wurde. Das heißt, das, was wir an Informationen bräuchten, um eine gute Forschungssammlung bereitstellen zu können, das fehlte bis dahin."
    Hinzu kamen die Schädel, bei denen ein Unrechtskontext nicht ausgeschlossen werden konnte.
    "Ich würde jetzt mal grob schätzen, dass wir in der Sammlung vielleicht 50 bis 100 Schädel haben, die aus einem derartigen Kontext stammen."
    Die Anfragen aus Namibia brachten ein erstes Forschungsprojekt ins Rollen.
    "Wir haben um die 20 Individuen untersucht, die fraglich nach Deutsch-Südwestafrika gehörten."
    Die Forscher nutzten auch invasive Methoden, entnahmen etwa Proben von Zähnen für ihre Analyse.
    "Das sind insbesondere Methoden einerseits zur Sterbealterbestimmung, um dieses mit den historischen Daten abgleichen zu können, unter anderem aber auch Proben beispielsweise für die Analyse stabiler isotope, um die Herkunftsregionen eingrenzen zu können und auch Wanderungsprozesse nachweisen zu können, und das Dritte waren DNA-Proben, die uns eine entsprechende Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungen erklären könnte."
    Rückgabe an die Herkunftsländer
    14 Schädel wurden 2014 an Namibia zurückgegeben. Aktuell werden Schädel aus Australien untersucht, auch da sei mit Kosten in der Größenordnung von 100 000 Euro zu rechnen. Und die Ergebnisse würden noch nicht einmal alle Seiten zufriedenstellen.
    "Vielfach ist es so, dass wir keine 100-prozentige Sicherheit angeben können, sondern immer nur in einem gewissen Wahrscheinlichkeitsbereich hineinkommen".
    Lohnt sich ein solcher Aufwand tatsächlich? Die Universität Freiburg hat vor gut zehn Jahren beschlossen, die Sammlung - vorerst - für Forschungszwecke nicht mehr freizugeben.
    "Es ist in unserem Interesse, diese Sammlungen so aufzubereiten, dass wir das, was ethisch problematisch ist, aus dieser Sammlung herausnehmen und das, was unproblematisch ist und für Forschungszwecke zugänglich sein sollte und kann und darf, auch nachher wieder zur Verfügung zu stellen. Denn dann hätten wir wieder eine gute, dokumentierte Forschungssammlung."
    Ein Moratorium, bis die Sammlungen bereinigt sind. Dem Betreiber des Portals freiburg-postkolonial.de, Heiko Wegmann, geht das nicht weit genug:
    "Man kann eben nicht nur rein von den Objekten ausgehen, sondern man muss auch diese ganze Geschichte aufarbeiten und da sollte man proaktiv rangehen."
    Proaktiv könne man das Handeln der Universität jedoch nur bedingt nennen, meint Wegmann.
    "Es ist noch Einiges im Argen. Also wir haben diese Rückgabe von 14 Schädeln nach Namibia vor einem Jahr gehabt. Wir haben aber Schädel aus allen möglichen deutschen Kolonien oder auch anderen Kolonien und anderen Erdteilen, wo man eigentlich mal jetzt rangehen müsste, von Deutsch-Neuguinea bis Kamerun und einer ganzen Reihe weiterer Länder. Und ich weiß es ist sehr viel Arbeit, dem nachzugehen."
    Und es betreffe nicht nur die Universität Freiburg, sondern die ganze Forschungslandschaft hierzulande.
    "Wir brauchen im Grunde ein deutschlandweites Register. Woher sollen irgendwelche völlig marginalisierten Gruppen aus ehemaligen Kolonien, die über wenig Mittel verfügen, eigentlich in Deutschland herausfinden, wo was liegt? Da muss einfach Transparenz geschaffen werden."
    Erst vor ein paar Jahren haben Institutionen begonnen, sich um die Bestände ihrer Sammlungen zu kümmern. Das gilt auch für Österreich. Maria Teschler-Nicola ist Direktorin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museum in Wien.
    "Bis in die 80er-Jahre haben unsere Entscheidungsträger festgestellt: Da bestand kein Unrechtskontext, also wir geben nichts zurück! Die Skelettreste bleiben am Naturhistorischen Museum!"
    Es mangelt an Problembewusstsein
    Das Museum in Wien beherbergt eine der größten Skelettsammlungen in Europa. Über Jahre hinweg sah man sich mit Rückforderungen indigener Gruppen konfrontiert.
    "Der problematische Teil ist jener Teil, der im 19. Jahrhundert gesammelt wurde. Diese Skelettreste umfassen ungefähr 3.000 Objekte."
    Diese hat die Anthropologin im Rahmen eines vom Bundesministerium geförderten Projekts näher untersucht. Trotz der politischen Dringlichkeit und teils schlimmster nachgewiesener Verbrechen im Namen der Wissenschaft habe sich noch immer nicht ein einheitliches Problembewusstsein durchgesetzt, resümiert Maria Teschler-Nicola:
    "Also, es ist etwas schwierig. Manche meiner Kollegen interessiert das gar nicht, wo die Skelette geborgen wurden und wie sie hergekommen sind."
    Aber das Problem sei nicht nur auf Forschungsseite festzumachen, auch die Politik müsse sich Versäumnisse ankreiden lassen.
    "Das ist das, was vielleicht die Sache auch so schwierig macht, weil es ja kaum Gesetze oder Vorschriften gibt, wie man in Rückforderungsangelegenheiten vorgehen soll. Es ist immer irgendwie eine Ermessensache auch der Kuratoren oder auch der Entscheidungsträger, der Ministerien und der Argumente, die man festmachen kann, ob man rückgibt oder nicht. "
    Wo aber liegt die Lösung? Eine Hilfestellung für Museen zu finden, war die Idee der Arbeitsgruppe Human Remains des Deutschen Museumbundes. Geleitet wurde diese von der Direktorin des Bremer Überseemuseums Wiebke Ahrndt:
    "Wir haben uns angenähert an die Frage: Wann ist es eigentlich statthaft etwas in den Sammlungen zu haben und wann ist es das nicht? Und wir sind am Ende bei dem Begriff Unrechtskontext gelandet."
    Arbeitsgruppe verfasst Empfehlungen
    Eine Arbeitsgruppe aus Historikern, Juristen, Anthropologen und Ethnologen hatte alle relevanten Aspekte dieser Problematik zusammengetragen. Heraus kamen dabei die "Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen", die seit 2013 online zugänglich sind. Ahrndt:
    "Wir haben in den Empfehlungen Tipps gegeben, Hinweise, was man alles abprüfen muss, was man zu klären hat, das ist natürlich schon hochkomplex, auch weil es sich um ein emotionales Thema handelt, auch nicht immer einfach."
    Es sind Empfehlungen, keine Richtlinien.
    "Aber es ist natürlich so, dass wir als Museen erst mal auf unserer Seite - wir sind ja nicht frei, wir können nicht einfach unsere Sammlungen hergeben, dafür sind wir nicht da! Wir sind Bewahrer des Kultur- und Naturerbes der Welt."
    Manche Sammlungen seien einzigartige Archive. Diese Feststellung ist Wiebke Ahrndt wichtig. Man könne an diesen alten Populationen mithilfe der Genetik Dinge untersuchen, die heute aufgrund von Migrationen oder Vermischungen gar nicht mehr existierten. Außerdem hätten auch Rückforderungen ihre Tücken. Museen müssten sicherstellen, dass sie die Gebeine den "richtigen" Antragstellern zurückgeben.
    "Sind die Menschen, mit denen wir verhandeln, eigentlich diejenigen, die darüber verhandeln dürfen? Sind das eigentlich die, mit denen wir so eine Regelung finden können, werden die von dort auch akzeptiert, sind die autorisiert, wodurch sind sie denn eigentlich autorisiert? Wir können nicht einfach Sachen hergeben, weil wir jetzt meinen, das ist ethisch, moralisch jetzt von uns gefordert, sondern wir müssen natürlich bestimmte juristische Wege einhalten und das mag jetzt hier in diesem Fall seltsam klingen, aber das hat natürlich schon seinen guten Grund, weil wir eben nur Statthalter sind für andere."
    Im Schatten der nationalsozialistischen Verbrechen
    Korrespondenz aus der Kolonialzeit:
    " [...] möglichst grosse Serien von Schädeln [...] würden uns aus allen Gegenden von Deutsch-Ostafrika sehr erwünscht sein."
    "ebenso wenn irgend möglich von jedem Stamme auch thunlichst vollständige Skelette"
    "und eine Reihe von reinen Buschmännern und Hottentotten"
    "der Schädel weise in seiner ganzen Erscheinung [...] etwas Fremdartiges und Ungewöhnliches auf und zeichne sich unter den Neger-Schädeln durch eine größere Zahl niederer Merkmale aus'".
    "Die Köpfe [...] wurden, nachdem ihnen mit wenigen Ausnahmen die Schädelhöhle eröffnet worden war, um auch das Gehirn der Bearbeitung zu sichern, gleich an Ort und Stelle in zehnfach verdünntem Formol fixiert."
    Wie groß ist das Bestreben von Bund, Ländern und Institutionen, das koloniale Erbe aufzuarbeiten? Klar ist nur: Die Kolonialzeit steht im Schatten der nationalsozialistischen Verbrechen. Deren Aufarbeitung genießt auf allen Ebenen einen höheren Stellenwert als die Untaten aus der Kolonialzeit. Eine dem NS-Raubgut vergleichbare Zentralstelle für Human Remains aus der Kolonialzeit, ausgestattet mit ausreichend Geld und Personal: Derzeit keine Option, meint der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger.
    "Das Thema des NS-Raubgutes ist ein so breites, riesiges, das sind ja Zehntausende von Objekten, da ist eine solche Zentralstelle auch im Zusammenhang der hochkomplexen Restitutions- oder Provenienzforschung, eine zentrale Institution, die das koordiniert, die das berät, die auch Mittel vergibt, auf jeden Fall unerlässlich, weil das wird uns noch viele Jahre beschäftigen. Ich glaube, man muss nicht eine solche Zentralstelle für die Frage der Human Remains gründen."