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Koloniale Vergangenheit Belgiens
"Viele wissen zu wenig darüber"

Die Demokratische Republik Kongo war 75 Jahre lang eine belgische Kolonie. Grenzziehungen am Reißbrett, wirtschaftliche Ausbeutung und eine strategische Bevorzugung bestimmter ethnischer Gruppen prägen das Land bis heute. Nach Meinung von Kritikern lässt die historische Aufarbeitung dessen in Belgien selbst allerdings immer noch zu wünschen übrig.

Von Anna Seibt |
    Die Chaussee de Wavre, Hauptstraße im Viertel Matongé in Brüssel aufgenommen am 17.08.2017. Der Stadtteil heißt wie ein bekanntes Ausgehviertel in Kinshasa.
    In Matongé, einem Stadtteil im Herzen von Brüssel, leben besonders viele afrikanische Einwanderer, auch aus der Demokratischen Republik Kongo. (dpa/Daniel Bellut)
    Es ist nicht sehr voll an diesem Samstagnachmittag im Kuumba. Ein paar Männer stehen am Tresen und unterhalten sich. Hinter der Bar zwei junge Frauen. Sie scherzen mit den Gästen und schenken Getränke aus.
    Das Kuumba ist ein flämisch-afrikanisches Kulturzentrum in Matongé, einem Stadtteil im Herzen von Brüssel. Hier leben besonders viele afrikanische Einwanderer, auch aus der Demokratischen Republik Kongo. Erst 1960 wurde das Land unabhängig von Belgien. Von 1885 bis 1908 befand es sich sogar im Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. Schätzungsweise bis zu 10 Millionen Kongolesen wurden ermordet oder starben an den Folgen der brutalen Ausbeutung durch die belgischen Kolonialherren.
    Längst überwundene Vergangenheit
    José Bawayi ist Choreograf. Er unterrichtet afrikanischen Tanz im Kuumba. Für ihn ist die Kolonialzeit längst überwundene Vergangenheit. Er betont, dass in dem Kulturzentrum alle gleich geachtet seien. Egal ob weiß oder schwarz. Im Kuumba gebe es keine Hautfarben.
    Neben Tanz werden im Kuumba auch die afrikanischen Sprachen Suaheli und Lingala unterrichtet, genauso wie Niederländisch für Anfänger. Die Kurse finden in einem schmucklosen Allzweckraum statt. Menschen aus der ganzen Welt kommen hier her, erklärt José. Manche hätten Sehnsucht nach dem vorkolonialen Kongo, andere seien im Kongo aufgewachsen. Es kämen aber auch Kinder von Einwanderern, die die Sprache ihrer Eltern lernen wollen.
    Interesse an afrikanisch-belgischer Geschichte nimmt zu
    Dass das Interesse junger Menschen für die afrikanisch-belgische Geschichte zunimmt, das bestätigt auch Orland Mangala.
    Der 26-Jährige ist in Belgien geboren. Seine Eltern stammen aus dem Kongo. Orland studiert Wirtschaftsrecht und arbeitet ehrenamtlich bei Memoire Coloniale. Die Gruppe will über die Kolonialgeschichte und deren Auswirkungen bis heute aufklären. Sie organisiert Stadtführungen durch Matongé, aber auch in den zentral gelegenen Stadtpark Cinquantenaire.
    Relikte der kolonialen Gedankenwelt
    König Leopold II. habe den Park mit Geld aus den Kolonien finanziert, erklärt Orland. Er steht vor einem großen Denkmal mitten im Park. Ein halbrundes Relief aus weißem Stein, links und rechts überlebensgroße Figuren von Soldaten. Auf dem Sockel der linken Soldatenfigur steht:
    "L’Héroïsme Militaire belge anéantit l’arabe esclavagiste."
    Die militärischen Heldentaten der Belgier haben die arabischen Sklavenhalter vernichtet. Das ist zynisch findet er, haben die Belgier doch nur ein System der Sklaverei durch ein anderes ersetzt, um an Gold, Elfenbein und Kautschuk zu gelangen.
    Viele Belgier wissen zu wenig über ihre eigene Geschichte, bedauert Orland. Auch in den Schulen werde kaum über die Kolonialzeit gesprochen. Er ist aber optimistisch, dass er mit Memoire Coloniale etwas ändern kann. Für die Zukunft wünscht sich Orland eine Gesellschaft, in der schwarz sein nicht bedeute, weniger wert zu sein.
    Wir alle leben in einer Gesellschaft, die auf Ungleichheit beruht, sagt er. Manche Menschen müssten noch immer dafür kämpfen als das wahrgenommen zu werden, was sie sind - Menschen.