Es hätte genug wichtigere Objekte gegeben, über die man sich hätte unterhalten müssen, sagt der namibische Historiker Dag Henrichsen. Zum Beispiel die Ahnenstäbe, die zur Zeit in Dresden ausgestellt werden – dass diese heiligen Objekte, über die Herero-Clans die Verbindung zu den Ahnen hergestellt wird, überhaupt in Deutschland seien und jetzt sogar in Vitrinen ausgestellt würden, sei eigentlich undenkbar, kritisiert Henrichsen.
"Es gibt keinen Gegenstand, der sakraler ist in der Herero-Gesellschaft als diese Ahnenstäbe, sie können hier nicht bleiben."
Provenienzfragen müssen exemplarisch diskutiert werden
Ausgerechnet die Säule vom Cape Cross dagegen ist vor allem ein Symbol kolonialen Machtanspruchs. Doch Namibia will sie zurückhaben will, seit 2017 existiert auch ein offizielles Rückgabeersuchen. Für DHM-Direktor Raphael Gross ist die aktuelle Rückgabeforderung aus Windhoek der Anlass, um die schwierige Frage nach Provenienz und Restitution von kolonialen Objekten exemplarisch zu debattieren – in bemerkenswerter Offen – und Öffentlichkeit und mit internationalen Juristen, Philosophen, Historikern und Ethnologen, viele von ihnen aus Afrika.
"Ich denke, dass wir mit unserer Tagung so etwas wie einen gedanklichen Unterbau, ein Fundament für beide Debatten, und damit sozusagen einen Missing Link beitragen können: Die Frage nach der historischen Gerechtigkeit. Was ist in dem hier skizzierten Kontext historisch gerecht? "
Viele verschiende Narrative
Die Säule von Cape Cross zeigt das portugiesische Wappen, gekrönt von einem Kreuz. Der portugiesische Seefahrer Diogo Cao hatte Dutzende dieser vorher aus Stein gehauenen Stelen dabei, die er auf seiner Entdeckungsfahrt entlang der afrikanischen Westküste an markanten Punkten aufstellen ließ. Als die Deutschen das Land in Besitz nahmen, wurde die Säule abmontiert und 1893 ins Deutsche Kaiserreich gebracht, später durch eine Replik ersetzt, die das Wappen Wilhelms II. zierte. Auch Portugal beanspruchte die Säule schon für sich. Je nach Perspektive ließen sich mit ihr drei verschiedene Narrative erzählen, betont Gross:
"Für die heutige namibische Bevölkerung steht sie womöglich insbesondere für die erste Begegnung zwischen Afrikanern und Europäern und damit den Beginn kolonialer Machtverhältnisse, der in dem Völkermord an den Herero und Nama gipfelte. Für die Portugiesen ist sie Teil einer imperialen Entdeckungsgeschichte unter kämpferisch christlichen Vorzeichen. Und für die Deutschen ist sie Teil ihrer kolonialen Vergangenheit."
Völkerrecht dient den westlichen Interessen
Doch was ist historische Gerechtigkeit? Mit den Maßstäben des Völkerrechts ließe sich jedenfalls kein Rechtsanspruch auf Rückgabe belegen, legte Sophie Schöneberger, Professorin für Staatsrecht und Verwaltungsrecht an der Universität Konstanz, dar. Recht und Gerechtigkeit klafften leider oft weit auseinander. Arlette Ndakozy, freie Journalistin aus Ruanda, meldete sich aus dem Publikum:
"Warum muss es eine Erklärung der Völker in Namibia geben, einen Grund, warum sie diese Objekte, die hier sind, zurückhaben wollen? Erkennt man nicht an, dass das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, einfach in ein Land zu gehen, das zu erobern, das als Eigenes zu erklären? Das ist es, was mich so erregt!"
Kulturelles Erbe ist oft gemeinsames Erbe
Wie vielschichtig die Debatte um Restitution ist, wurde deutlich, als Dag Henrichsen, einer der profundesten Kenner der afrikanischen Oral History Tradition in afrikanischen Gesellschaften, die Frage aufwarf, was ein solches Steinobjekt für Namibia heute tatsächlich bedeute. In den historischen Narrativen der lokalen Bevölkerung, der Praise Poetry, spiele die Säule der Kolonisatoren keine Rolle.
"Perhaps it is a matter of convincing Museums, both here and in Namibia to learn so see history whilest listening."
Vielleicht müssen Museen, hier und in Namibia, lernen, dass man Geschichte auch sehen kann, in dem man zuhört, wirft Henrichsen in die Debatte. Am Ende des Tages wird deutlich: Wichtiger als Rückgabe ist eigentlich die Erkenntnis, dass kulturelles Erbe oft gemeinsames Erbe ist – ob man will oder nicht. Für die Säule von Cape Cross will Raphael Gross nun bald eine Empfehlung an das Auswärtige Amt abgeben, wie mit dem Objekt zu verfahren ist. Ein Trend? Jedes Museum müsse sich fragen, ob es geraubte Objekte wirklich in seiner Sammlung haben wolle, resümierte Gross, und das werde das DHM auch tun.