Die Geschichte beginnt vor etwa zweieinhalb Jahren. Ich bin verabredet mit einer Delegation von Herero-Vertretern, die an den Völkermordverhandlungen zwischen Deutschland und Namibia teilnehmen. Einer von ihnen, Freddy Nguvauva, erzählt mir, dass sein Volk, die Ovambanderu, eine Untergruppe der Herero, seit fast 124 Jahren ein wichtiges Kulturobjekt vermissen, genauer seit dem 12. Juni 1896.
"Meine Familie, unser Volk fragt immer nach dem Gürtel, den mein Ururgroßvater, Kahimemua Nguvauva, getragen hat. Es war ein historischer, heiliger Gürtel, der immer bei der Übergabe der Regentschaft vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde. Mein Ururgroßvater wurde 1896 von den Deutschen hingerichtet, nach der Hinrichtung haben die Deutschen den Gürtel mitgenommen."
"Meine Familie, unser Volk fragt immer nach dem Gürtel, den mein Ururgroßvater, Kahimemua Nguvauva, getragen hat. Es war ein historischer, heiliger Gürtel, der immer bei der Übergabe der Regentschaft vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde. Mein Ururgroßvater wurde 1896 von den Deutschen hingerichtet, nach der Hinrichtung haben die Deutschen den Gürtel mitgenommen."
In Namibia eine wichtige historische Figur
Beim ersten Googeln zu Hause stelle ich fest: Freddy Nguvauva‘s Ururgroßvater Kahimemua Nguvauva ist in Namibia eine wichtige historische Figur. Er hatte sich schon früh gegen die Deutschen erhoben, er war der erste wirkliche Gegner, der sich der zunehmenden Landnahme durch die noch junge deutsche Kolonialmacht entgegengestellt hatte. Zusammen mit dem Herero-Führer Nikodemus Kavikunua wurden beide durch ein deutsches Kriegsgericht zum Tode verurteilt und am 12. Juni 1896 als gefährliche Aufrührer standrechtlich erschossen.
Eine vermisste Ahnenschnur
1896 – das war noch acht Jahre vor dem deutschen Völkermord an den Herero und Nama. Sollte der magische Gürtel des Kahimemua tatsächlich noch irgendwo in Deutschland auf einem Dachboden oder in einem Museumsdepot vor sich hinstauben? Und wenn ja, wie findet man ein Objekt, dass nur noch als Leerstelle existiert, als Erinnerung an einen schmerzlichen Verlust? Erste Recherchen in Katalogen und Sammlungsarchiven fördern nichts Gürtelähnliches zutage. Dag Henrichsen, Afrika-Historiker in Basel, den ich konsultiere, glaubt: Bei dem vermissten Objekt handelte es sich in Wirklichkeit um eine Ahnenschnur, eines der heiligsten Objekte der Stammeskultur, die vom Omuhona, dem Oberhaupt und spirituellen Führer, auch zum Teil um die Hüften getragen wurden. In den eigenen mündlichen Überlieferungen der Ovambanderu zu Kahimemua findet sich ein Hinweis. Eine Erzählung, so Dag Henrichsen,
"Die erklärt, wie Kahimemua kurz vor seinem Tod diesen Geschlechterriemen ins heilige Feuer wirft. Das ist eine bemerkenswerte Erzählung, wie dieser Kahimemua die Handlungsfähigkeit bis zum Schluss bewahrt und den Niedergang selbst bestimmt."
"Die erklärt, wie Kahimemua kurz vor seinem Tod diesen Geschlechterriemen ins heilige Feuer wirft. Das ist eine bemerkenswerte Erzählung, wie dieser Kahimemua die Handlungsfähigkeit bis zum Schluss bewahrt und den Niedergang selbst bestimmt."
Der magische Gürtel ein schnöder Patronengurt?
Ist die Suche also zuende? Doch dann ergibt sich eine neue Spur – ausgerechnet in einem alten Nazibuch, dem 1929 geschriebenen "Deutschen Südwester-Buch" des künftigen "Volk ohne Raum"-Autors Hans Grimm. Werner Hillebrecht, der Archivar des namibischen Nationalarchivs, stieß darin auf eine Passage, die erzählt, dass der Kaufmann Gustav Voigts, 1896 als Reserveoffizier bei den deutschen Schutztruppen, Kahimemua entwaffnet und seinen Patronengürtel und sein Gewehr zwei Jahre später an das Museum seiner Heimatstadt Braunschweig gegeben habe. Der magische Gürtel ein schnöder Patronengurt? Das muss kein Widerspruch sein, sagt Hillebrecht. Westliche Waffen hätten in Afrika im 19. Jahrhundert eine fast kultische Bedeutung angenommen.
"Und dass also der Vater seinem Sohn diesen Gürtel übergibt als Zeichen seiner Würde, das ist sehr gut vorstellbar."
Ich fahre nach Braunschweig. Und tatsächlich: Im Städtischen Museum Braunschweig findet sich eine alte Karteikarte. Unter Objekt Nummer 172 A III c, steht in Sütterlin: "Lederner Patronengurt, dem aufständischen Häuptlinge der Ovambandyeru, von Herrn Gustav Voigts 1896 abgenommen. Von den Eingeborenen angefertigt." Daneben, doppelt unterstrichen: Eigentum von Gustav Voigts, wohnhaft in Windhoek. Von einem Gürtel oder Gewehr jedoch: keine Spur. Museumsleiter Peter Joch:
"Es kann also gut sein, dass der mal zurückgegeben wurde, das ist leider nicht dokumentiert auf den Karteikarten. Insofern haben wir die Depots auf den Kopf gestellt. Wir haben dann geguckt, wo es noch aus Versehen hätte hingeräumt werden können irgendwann. Aber da war leider nichts zu machen."
Kolonialgeschichte in Vergangenheit und Gegenwart
Befindet sich der Gürtel womöglich als Erinnerungsstück im Besitz der Familie Voigts? Bis heute lebt die Familie in Namibia, sie besitzt eine Warenhauskette mit Filialen in jeder größeren Stadt. Und große Ländereien – ehemaliges Weideland der Herero und Ovambanderu. Kolonialgeschichte in Vergangenheit und Gegenwart – hier treffen die losen Enden wieder aufeinander.
Doch dann: wieder eine neue Wendung. In einem Schubfach im Depot des Braunschweiger Museums wird ein paar Monate später doch ein lederner Patronengurt gefunden, der auf die Beschreibung passen könnte. Man habe ihn früher für einen Gaucho-Gürtel gehalten, doch ihn jetzt mit alten Herero-Fotos verglichen, auf denen ganz ähnliche Patronengürtel zu sehen sind. Museumsleiter Peter Joch führt mich ins Depot.
Rechtlich gehört der Gürtel noch nicht den Nachfahren
Andächtig stehe ich davor: Ein alter Ledergürtel, auf Seidenpapier gebettet. Ist er das, der historische Gürtel des Kahimemua? Mit letzter Sicherheit lässt sich das noch nicht sagen, sagt Joch. Er hofft, dass wissenschaftliche Untersuchungen letzte Klarheit erbringen. Und auch die Expertise der Ovambanderu-Community selbst soll dazu eingeholt werden. Im Falle einer Restitution gäbe es allerdings noch ein Problem: der Eigentumsvorbehalt. Rein rechtlich gehört der Gürtel immer noch den Nachfahren von Gustav Voigts.
Hoffen auf schnelle Restitution
In Epikuro im ärmlichen Osten Namibias, wo die meisten Ovambanderu heute leben, verbreitet sich die Nachricht schnell, dass der magische Gürtel des Kahimemua nach 124 Jahren möglicherweise endlich gefunden wurde. Ovambanderu-Chief Kilus Munjuku III. Nguvauva, auch er ein Ururenkel von Kahimemua, hofft nach Abschluss der Untersuchungen auf eine schnelle Restitution.
"Ich wünsche mir, dass der historische Gürtel dann erst einmal zur Familie, zur Community zurückkehrt, damit ihn alle sehen und feiern können. Doch später, in einem weiteren Schritt, können wir uns auch vorstellen, ihn an den namibischen Staat zu geben, damit er für die ganze Nation zugänglich ist."