Archiv

Kolonialismus
Die Bibel und die Peitsche

Die Familienbibel und die Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi aus dem Stuttgarter Lindenmuseum wurden in Namibia restituiert. Unsere Kultur-Korrespondentin Christiane Habermalz erlebte eine emotional bewegende Rückgabe-Zeremonie in Gibeon. Dabei hatte es bis zuletzt noch Unstimmigkeiten gegeben.

Christiane Habermalz im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
Ein Neues Testament und eine Peitsche aus dem Besitz von Hendrik Witbooi liegen in einer Vitrine im Linden-Museum für Völkerkunde. Das Land Baden-Württemberg will die Exponate als geraubte Kulturgüter im Februar an Namibia zurückgeben. Bis zur Rückgabe werden beide Gegenstände nochmals im Lindenmuseum ausgestellt.
Ein Neues Testament und eine Peitsche aus dem Besitz von Hendrik Witbooi (picture alliance / Marijan Murat / dpa)
Maja Ellmenreich: Es steht - hochoffiziell - im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist erklärtes Ziel. Man wolle die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika verstärken und einen Kulturaustausch befördern. Wohlfeile Worte sind das, denen viele weitere gefolgt sind in den vergangenen Monaten. Es wurde geredet, diskutiert, gestritten über den angemessenen Umgang mit kolonialen Kulturgütern – insbesondere aus Afrika. Heute nun folgte auf diese Worte eine Tat: die erste wichtige Restitution an Namibia. Das Bundesland Baden-Württemberg hat die Bibel und die Peitsche des einstigen Nama-Führers Hendrik Witbooi an den Staat Namibia zurückgegeben.
Christiane Habermalz aus unserem Hauptstadtstudio in Berlin hat die Delegation begleitet, Frau Habermalz, was haben Sie dort miterlebt? Wie lief diese feierliche Übergabe ab?
Christiane Habermalz: Das war ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Man muss sich vorstellen: Das ist ein ganz kleiner Ort gewesen, Gibeon, etwa 350 Kilometer von Windhuk entfernt. Der hat wahrscheinlich in den Jahrzehnten davor nie so viel Aufmerksamkeit bekommen wie heute. Denn ist die ganze Politikprominenz aus Windhuk angereist, um diese Bibel und diese Peitsche von Theresia Bauer, der Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg, entgegenzunehmen. Es war der Staatspräsident persönlich, der die Objekte entgegengenommen hat. Dann wurden sie symbolisch an die Familie Witbooi übergeben, damit die sie dann wieder dem Staat geben können, um am Ende im Staatsarchiv in Windhuk gelagert werden zu können. Das war der Kompromiss, auf den man sich nach langen Verhandlungen geeinigt hatte.
Nicht ganz ohne Konflikte
Ellmenreich: Sie sprechen von dem Kompromiss, von der Übergabe erst an die Familie, dann an den Staat. Im Vorfeld hatte es eine ganze Reihe an Unstimmigkeiten gegeben. Die Vereinigung der Nama-Stammesältesten war nicht einverstanden damit, dass der Staat Namibia diese Artefakte entgegennimmt. War davon noch etwas bei der Zeremonie zu hören?
Habermalz: Von den Stammesältesten nicht, aber es hat bis zuletzt noch Unstimmigkeiten gegeben, auch weil es Programmänderungen gegeben hat an dieser mühselig ausgehandelten Choreographie – in letzter Minute durch die Kulturministerin von Namibia. Da hat man sich gefragt: Welche Ziele verfolgt sie möglicherweise damit? Man darf auch nicht vergessen, dass auch in Namibia mit kolonialer Vergangenheit Politik gemacht wird. Und das passiert natürlich auch hier. Das macht die Dinge sehr komplex, und deshalb war es aus meiner Sicht sehr lehrreich, das einmal von dieser Seite aus zu sehen, wie Kulturgüter natürlich auf der einen Seite hier empfangen werden mit einer Wärme und Dankbarkeit – gerade die Familie Witbooi, für die das sehr viel bedeutet, dass diese Artefakte zurückkommen.
Statue von Hendrik Witbooi, Kaptein des Nama-Orlamstammes der Witbooi, im Park des Tintenpalastes in Windhuk. 
Statue von Hendrik Witbooi (imago)
Auf der anderen Seite aber wird damit auch Politik gemacht: Zum Beispiel tauchten auf einmal zwei Schädel auf, neben dieser Bibel und dieser Peitsche, die noch aus der großen Rückgabe der Charité stammten. Die waren im Prinzip zu "Deko-Zwecken" dazugestellt worden. Das hat auch wieder gezeigt, mit wieviel weniger Skrupel hier in Namibia mit diesen Schädeln umgegangen wird – zumindest heute war das der Fall – als in Deutschland, wo wir uns bemühen, das würdevoll zu tun, getan haben.
Ort von symbolischer Bedeutung
Ellmenreich: Werfen wir noch mal einen Blick auf diesen Ort, in dessen Nähe sie sich gerade noch befinden: Gibeon im Süden des Landes. Warum hat man genau diesen Ort für die Zeremonie ausgewählt?
Habermalz: Das hängt mit der Geschichte zusammen und Hendrik Witbooi selber. Der war ja ein sehr wichtiger und bedeutender Nama-Anführer, der der Kolonialmacht Deutschland Kopfzerbrechen bereitet hat. Der sehr geschickt taktiert hat, zum Teil von Deutschen auch in einen Schutzvertrag gezwungen wurde, sich aber am Ende gegen die Deutschen erhoben hat, als er mitbekommen hat, mit welcher Brutalität die Herero niedergeschlagen wurden nach ihrem Aufstand. Und dieser Hendrik Witbooi hat sich in Gideon niedergelassen, als er aus Südafrika eingewandert ist. Das ist der alte Stammsitz der Familie. Und das hat deswegen eine ganz große symbolische Bedeutung für den Clan. Und das war auch ein Zugeständnis an die Witboois, die sich einverstanden erklärt haben, dass die Bibel – auch weil der Witbooi ein nationaler Held ist – diese Bibel dann auch an den Staat geht und im Nationalarchiv verwahrt wird und dort öffentlich gezeigt werden kann.
Ellmenreich: Und dort, in der Nähe von Gibeon, im Süden Namibias, habe ich gerade mit Christiane Habermalz gesprochen. Dort wurde heute nämlich die Witbooi-Bibel und die -Peitsche an den Staat Namibia zurückgegeben. Vielen Dank!