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Kolumbien
Am liebsten Frieden ohne die FARC

Nach 50 Jahren Gewalt, 200.000 bis 300.000 Toten und Millionen Vertriebenen im eigenen Land sehnen sich die Kolumbianer nach Frieden. Die Verhandlungen der Regierung mit linken Rebellengruppen scheinen auch voranzukommen, aber es sind noch längst nicht alle Fragen geklärt.

Von Burkhard Birke |
    Teilnehmer der letzten Runde der Friedensgespräche für Kolumbien in Havana.
    Teilnehmer der letzten Runde der Friedensgespräche für Kolumbien in Havana. (dpa/Ernesto Mastrascusa)
    "Wenn ich mein Herz sprechen lasse, dann wird hoffentlich jetzt noch im März ein Abkommen unterzeichnet. Mein Verstand sagt mir jedoch, es gilt noch große Hürden in der kurzen Zeit bis zum 23. März zu überwinden."
    Padre Dario Echeverrí muss es wissen: Für die Versöhnungskommission der katholischen Kirche sitzt er mit am Verhandlungstisch in Havanna. Seit nahezu vier Jahren verhandeln dort an neutralem Ort Regierung und FARC Rebellen.
    Auf der Zielgeraden liegen nun die besonders schwer zu knackenden Nüsse auf dem Tisch: Waffenstillstand, Entwaffnung und die Frage, wohin mit den noch etwa 7.000 aktiven Kämpfern der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, FARC.
    Die sind wie andere bedeutende Guerillagruppen in den 1960er-Jahren einst als marxistische Truppe entstanden, die mit Waffengewalt die schreiende Ungerechtigkeit vor allem in den ländlichen Gebieten Kolumbiens beseitigen wollte. Entführungen und Erpressungen, Drogenhandel, Attacken gegen die Zivilbevölkerung: Für die Guerillas heiligte der Zweck die Mittel. Die Bevölkerung indes litt.
    Mehr Verschwundene als in der argentinischen Militärdiktatur
    In Anbetracht der Ohnmacht des Staates riefen Großgrundbesitzer paramilitärische Verbände auf den Plan, die mit Duldung und Hilfe staatlicher Instanzen Bauern vertrieben und Massaker verübten. Erst in diesen Tagen wurde Santiago, der Bruder des früheren Präsidenten Alvaro Uribe, wegen Verwicklung in paramilitärische Umtriebe in Haft genommen. Menschenrechtsanwalt Danilo Rueda wundert das nicht.
    "Wir reden von 50 Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen, bei denen staatliche Institutionen und Akteure bedauernswerterweise am Entstehen des kriminellen Paramilitarismus beteiligt waren. Das ist gerichtlich belegt. Mehr als 200 Massaker wurden verübt, Menschen vertrieben, mehr als sieben Millionen Opfer zählt man, und zuletzt wurden mehr als 4.000 Menschen einfach ohne jede rechtliche Grundlage von Militäreinheiten ermordet und als vermeintliche Guerillakämpfer ausgegeben. Darüber hinaus hat man mehr als 45.000 Menschen in unserem Land gewaltsam verschwinden lassen: mehr als in der argentinischen Militärdiktatur."
    200.000 bis 300.000 Tote, für die wohl in erster Linie die Guerilla verantwortlich ist, unzählige Entführungen, 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge: Ohne diese Zahlen wäre eine grobe Bilanz des Konfliktes nicht vollständig.
    Ein Menschenrechtspreis schützt
    "Kolumbien ist gespalten. In einer Umfrage würden sich 80 Prozent der Leute für die Unterzeichnung des Abkommens und für Frieden aussprechen. Aber im Grund wollen sie den Frieden ohne die FARC, als ob die einfach so von der Erdoberfläche verschwinden könnten."
    Marina Gallego bleibt dennoch optimistisch, auch wenn breite Teile der Bevölkerung maximale Haftstrafen von 5 bis 8 Jahren im Rahmen der geplanten Übergangsjustiz für alle Konfliktparteien als zu milde ansehen. Für ihr Engagement der Ruta Pacifica, des "Friedlichen Weges", einer seit zwei Jahrzehnten aktiven Allianz aus 300 Frauenorganisationen, wird Marina Gallego mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich Ebert Stiftung ausgezeichnet. Mehr als Anerkennung bedeutet dies vor allem Schutz: "Der Preis ist sehr bedeutend, er schützt uns vor allem auch."
    Denn Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschafter und ehemalige Guerillakämpfer lebten und leben in Kolumbien gefährlich. Hunderte, wenn nicht tausende sind in den vergangenen Jahrzehnten ermordet worden oder spurlos verschwunden. Kein Wunder, wenn gerade dieser Punkt in Havanna heiß umstritten ist. Mit Landreform, politischer Teilhabe, einer neuen Strategie gegen illegale Drogen und einer Sonderjustiz mit weitreichender Amnestie für die Konfliktparteien sind vier entscheidende Kapitel der Friedensverhandlungen jedoch schon abgehakt. Für Justizminister Yesid Reyes ein Grund mehr, an die Dynamik des Prozesses zu glauben, obwohl eine Mehrheit von 57 Prozent der Kolumbianer die Verhandlungen zuletzt in einer Umfrage negativ einstufte.
    Der kolumbianische Justizminister Yesid Reyes im Gespräch mit Burkhard Birke.
    Der kolumbianische Justizminister Yesid Reyes im Gespräch mit Burkhard Birke. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Konflikt ist mit Waffengewalt nicht zu lösen
    "Vor einigen Tagen sind die FARC-Guerilleros bewaffnet in einem Dorf im Norden Kolumbiens aufgetaucht. Solche Bilder schüren Misstrauen und wirken sich negativ auf die öffentliche Meinung aus. Wenn es zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens kommt, wird die Zustimmung zum Frieden wieder zunehmen und viel höher sein als heute." Im Grunde sind die Kolumbianer kriegsmüde, sehnen sich nach Frieden.
    Vor allem scheint sich eine Erkenntnis endlich durchgesetzt zu haben: Dieser Konflikt ist nicht mit Waffengewalt zu lösen. Eine Erkenntnis, zu der hoffentlich auch das 1.700 Kämpfer starke Nationale Befreiungsheer, ELN, gelangt. Mit dieser Guerillagruppe wurde eine Agenda, aber noch kein Termin für den Auftakt von Verhandlungen festgelegt. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen dauern an. Befürchtet wird, dass FARC-Rebellen überwechseln und weiter kämpfen oder sich kriminellen Banden anschließen könnten.
    Klar ist: Auch die Drogen- und Sicherheitsprobleme werden wohl selbst bei einem Friedensabkommen auf absehbare Zeit bleiben. Die Zahl der Morde und Entführungen indes dürfte wohl weiter sinken. Zu hoffen bleibt, dass der kolumbianische Staat sich endlich seiner vernachlässigten Gebiete annimmt, Schulen, Krankenhäuser und Straßen dort baut. Für eine erfolgreiche Umsetzung eines Friedensabkommens ist aber vor allem eines nötig: "Absolute Vergebung, auch wenn das schwierig klingt, das ist Frieden. Versuchen, zu vergessen - denn wenn wir nicht vergessen wollen, sinnen wir auf Rache", sagt Yordan Ordonez. Der ehemalige Paramilitär muss es wissen: Als Minderjähriger zwangsrekrutiert ist er Opfer und Täter zugleich, und vor allem bereit zu vergeben.