Archiv

Kolumbien
Kein Museum für Touristen

Dem Konflikt zwischen der kolumbianischen Regierung und den Rebellen der Farc fielen in den vergangenen fünf Jahrzehnten mehr als 250.000 Menschen zum Opfer. Im Museum "Haus der Erinnerung" in Medellín wird den Besuchern die grausame Dimension des Bürgerkrieges vor Augen geführt. Bewusst wird dabei auf Schmerz gesetzt.

Von Julio Segador |
    A member of the Colombian guerilla FARC holding his weapon in the mountains of Cauca, Colombia, May 30, 2010. Colombian president Santos confirmed to the media in Bogota, Colombia, 27 August 2012, the agreement to negotiation talks with the Revolutionary Armed Forces of Colombia (FARC). (Zu dpa "Kolumbien will mit Farc-Rebellen über Frieden verhandeln"). Photo: Joana Toro/dpa/aa
    Alle Getöteten und alle Kolumbianer sind Opfer - das aufzuarbeiten, sieht man im Museum "Haus der Erinnerung" als Aufgabe, und keine Geschichtsstunde für Touristen. (dpa / picture alliance / Joana Toro)
    Fabiola Lalinde erzählt in einer kurzen Filmsequenz an einer Multimedia-Säule vom Grauen des Bürgerkrieges, von den unzähligen Opfern, von ihrem Sohn Luis Fernando Lalinde.
    Luis Fernando Lalinde wurde am 3. Oktober 1984 vom kolumbianischen Militär entführt, getötet, verscharrt. Jacinto – so sein angeblicher Kampfname - soll mit der FARC-Guerilla zusammengearbeitet haben. Beweise dafür wurden nie präsentiert. Jahre später sprach die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten den kolumbianischen Staat wegen der Entführung und Exekution des jungen Mannes schuldig. Fabiola Lalinde hatte zu dieser Zeit den Glauben an den Rechtsstaat und die Institutionen verloren.
    Man braucht ein dickes Fell, wenn man in das Museum "Haus der Erinnerung" geht. Es sind Fälle wie die von Luis Fernando Lalinde und seiner Mutter Fabiola die einem die grausame Dimension des Bürgerkrieges vor Augen führen. Die Akteure des jahrzehntelangen bewaffneten Konfliktes sind unmittelbar präsent. Der Bürgerkrieg wird aufgearbeitet, für die Nachwelt dokumentiert. Für Museumsdirektorin Lucía González steht fest: Einen echten Frieden wird es nur über den Weg der Erinnerung geben. Eine Erinnerung, die sich mit der Vergangenheit ehrlich auseinandersetzt.
    Auseinandersetzung, Reflexion, Versöhnung
    "Dieses Museum ist eigentlich kein Museum, sondern ein Projekt. Und das Museum ist nur ein Element davon. So verstehen wir es. Wir sind sehr froh, dass es uns gelingt, noch inmitten der Gewalt bereits die Kultur der Erinnerung zu betonen. Vermutlich sind wir weltweit das erste Land, dem das gelingt. Es ist eine Erinnerung, die uns den Weg hinaus aus der Gewaltspirale zeigt. Wobei für uns der Konflikt nicht nur militärisch, sondern auch politisch und sozial begründet ist. "
    Auseinandersetzung, Reflexion, Versöhnung, darin sieht Lucía González die Aufgabe des Museums. Das Konzept ist multimedial, interaktiv. Es wird mit Filmsequenzen, Interviews, Fotos und Audios gearbeitet. Touchscreens und Multimediasäulen sollen gerade auch junge Besucher für die schwierige Thematik öffnen.
    Bewusst wird auf den Schmerz gesetzt. Die Bilder sind an vielen Stellen schockierend, verstörend. Das Gemetzel in den Dschungelregionen wird ebenso schonungslos dargestellt wie das Attentat im "Parque Lleras" in Medellín, als eine Autobombe fast ein Dutzend Menschen tötete. Die Besucher sollen wissen, welches Bild vor 15 Jahren jener Platz bot, an dem heute in einer hippen Umgebung Cocktails und Cappuccinos getrunken werden. Nichts wird ausgespart, geschönt. Linker, rechter, Staatsterror. Alle töteten und alle Kolumbianer sind Opfer. Auch deshalb macht Direktorin Lucía González deutlich: Dieses Museum in Medellín ist kein Museum nur für Touristen:
    "Dieses Museum ist für uns. Damit sich die Menschen in der Stadt ändern. Wir wollen nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern die Kultur verändern."
    Weichen für eine friedliche Zukunft stellen
    Der Terror gegen indigene Volksgruppen und Gewerkschaften wird ebenso anschaulich dargestellt wie die Gewalt gegen Afrokolumbianer und Minderheiten. Eine Ausnahme bietet Medellíns berühmtester und gleichzeitig umstrittenster Sohn: Pablo Escobar. An ihn wird im Museum "Haus der Erinnerung" nicht erinnert. 2011 wurde das Museum eröffnet, unter anderem mit Hilfe des katholischen Hilfswerkes Misereor. Dass das Museum dabei in Medellín, der einstigen Hauptstadt von Krieg und Verbrechen seinen Platz fand, hat mehr als Symbolcharakter. Gerade hier soll an die Opfer gedacht, sollen gleichzeitig die Weichen für eine friedliche Zukunft gestellt werden. Eine Zukunft, auf die Elvira Fuentes vor einigen Jahren nicht zu hoffen wagte. Sie war eine FARC-Rebellin, 14 Jahre lang.
    "Das ist wie eine Drogensucht. Ehe man sich versieht, ist man mittendrin. Ich lebte und arbeitete in einem Dorf, in dem die linksgerichteten Campesinos das Sagen hatten. Irgendwann ging ich mit ihnen in den Dschungel, mal hier, mal dort. So kam ich zur Guerilla. Ich sah viele Tote, viel Armut, viel Ignoranz, viel Schmerz. Für mich ist das alles jetzt sehr hart, oft weine ich tagelang. Ich fühle mich sehr schuldig."
    Engagement für Frieden und Versöhnung
    Elvira Fuentes gehört inzwischen zum Team des Museums. Die ehemalige Guerillera engagiert sich nun für Versöhnung und Frieden. Sie schaffte nicht zuletzt durch ihre Arbeit im Museum den Weg aus dem Dschungel zurück in die Gesellschaft. Ein steiniger Weg, der ihr bis heute viel abverlangt:
    Unmöglich ist es nicht. Ich denke, es ist möglich. Ich versuche an mein altes Leben wieder anzuknüpfen. Eine Menge Erinnerungen kommen da hoch. Und viele verzeihen mir. Aber ich bin gezeichnet fürs Leben.
    Fabiola Lalinde, deren Schicksal zusammen mit dem ihres Sohnes im Museum dokumentiert ist, hat inzwischen ihren Seelenfrieden gefunden. Nach 4.428 Tagen – mehr als 12 Jahre nach dem Verschwinden ihres Sohnes – kehrte sie mit dessen Überresten in einer Urne zurück nach Medellín. Luis Fernando Lalinde ist einer der über 220.000 Toten des Bürgerkrieges in Kolumbien. Im Museum "Haus der Erinnerung" wird ihm ein Gesicht gegeben, er wird herausgeholt aus der Anonymität.