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Kolumbien nach der FARC
Von Frieden keine Spur

Auch nach dem Rückzug der FARC-Rebellen kommen Teile Kolumbiens nicht zur Ruhe. Andere Guerilla-Gruppen drängen in das Machtvakuum. Für einen echten Frieden muss die Regierung auch mit ihnen verhandeln - und vor allem der Landbevölkerung neue Perspektiven bieten.

Von Nils Naumann |
    Bauern in einem Koka-Feld in Kolumbien
    Bauern in einem Koka-Feld in Kolumbien (Deutschlandradio / Nils Naumann)
    El Carmen - ein kleines Dorf im Catatumbo: Weiß getünchte Kolonial-Gebäude, Gärten mit Zitronen- und Orangenbäumen, Vogelgezwitscher. Auf den ersten Blick wirkt alles friedlich. Aber wie so oft in Kolumbien, ist dieser Eindruck nur oberflächlich. Am Hauptplatz gegenüber der Kirche patrouillieren Soldaten und Polizisten mit Maschinengewehren. Und das Gedränge im Menschenrechtsbüro der Gemeinde ist auch an diesem Vormittag groß.
    Rund 20 Menschen haben sich in dem kleinen Büro versammelt. Übernächtigte Erwachsene, verstörte Kinder. Zwei Tage zuvor hatte das kolumbianische Militär ein Camp der Guerillagruppe ELN in der Gegend bombardiert und zehn Guerilleros getötet. Für das Militär ein großer Erfolg. Für die Zivilisten in der Region ein Alptraum. Denn das Camp lag nur wenige hundert Meter entfernt von einigen Bauernhöfen. Evelio Picon ist einer der betroffenen Farmer:
    "Wir waren rund 20 Leute, es war Samstagabend, einige spielten Domino. Dann plötzlich ein Flugzeug, Feuerbälle, Explosionen. Einige schrien, die Kinder weinten, verkrochen sich unter den Betten. Dann kamen die Hubschrauber, es wurde geschossen. Wegrennen konnten wir nicht, dann hätten sie vielleicht auch auf uns gefeuert."
    Angst vor Racheakten der Guerilla
    Im dem bombardierten Gebiet leben insgesamt rund 200 Menschen. Doch inzwischen sind die meisten geflohen. Geschockt von der Militäraktion und voller Angst vor Racheakten der Guerilla. Denn mit angeblichen oder tatsächlichen Informanten macht die ELN kurzen Prozess.
    Die marxistische ELN ist nach der FARC die zweitgrößte Guerilla-Gruppe Kolumbiens. Inzwischen verhandelt die Regierung auch mit der ELN über ein Friedensabkommen. Es gibt aber keinen Waffenstillstand. Die Auseinandersetzungen haben sich sogar verschärft.
    Doch die ELN ist nicht das einzige Problem: Im Catatumbo gibt es auch noch die EPL-Guerilla. Bisher lehnt die Regierung Verhandlungen mit dieser Gruppe ab. Grund: Die EPL sei eine reine Drogengang.
    Und so hat sich für die Menschen im Catatumbo durch das Friedensabkommen mit der FARC nur wenig verändert. Edwin Contreras Chinchilla ist der Bürgermeister von EL Carmen:
    "Der Rückzug der FARC hat die anderen Gruppen gestärkt. Die ELN hat die Geschäfte und den Einflussbereich der FARC übernommen. Auch die EPL versucht ihren Machtbereich auszuweiten. Und dann gibt es auch noch die gewöhnliche Kriminalität. Das Abkommen mit der FARC hat uns keinen Frieden gebracht. Im Gegenteil: Die Lage hat sich sogar verschlimmert."
    ELN und EPL erheben Steuern auf Güter wie Benzin oder Bier
    Erst vor wenigen Monaten überlebte Edwin Contreras Chinchilla nur knapp einen Mordanschlag. Sein Vater Humberto wurde von der ELN entführt. Fast zwei Wochen lang war der 67-Jährige in den Händen der Guerilla. Für die Guerillagruppen sind die Entführungen Einnahmequelle und politisches Druckmittel zugleich. Auch die lokale Wirtschaft muss bluten. ELN und EPL erheben Steuern auf Güter wie Benzin oder Bier.
    In Schlangenlinien steuert der Fahrer das Sammeltaxi über die mit Schlaglöchern gespickte Buckelpiste. Die Infrastruktur der Region ist miserabel. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt selten mehr als 15 Kilometer. Der Staat ist hier nicht mehr präsent. Hier herrscht die Guerrilla. Ein Transparent der EPL verbietet die nächtliche Nutzung der Straßen und droht bei Missachtung mit Konsequenzen. Auf den Häusern Parolen von ELN und EPL. Niemand wagt es, die Graffiti zu beseitigen. Am Straßenrand Kokaplantagen. Kokablätter, der Grundstoff von Kokain, sind das Hauptprodukt der Bauern im Catatumbo:
    "Im Catatumbo siehst du überall nur Koka. Das ist das einzige, was Geld bringt. Deswegen machen die Leute das. Damit ihre Kinder nicht verhungern. Damit sie ihnen eine Ausbildung bezahlen können. Aber das ist die Schuld der Regierung. Die hat den Catatumbo immer vernachlässigt."
    Der Drogenhandel ist die wichtigste Einnahmequelle der Guerillagruppen
    Jesus Heli ist Kokabauer. Gemeinsam mit seinem Vater Marco bewirtschaftet er ein kleines Feld mit Kokasträuchern. Sein Vater, ein drahtiger 77-Jähriger, lebt in einem kleinen Haus mit zwei Zimmern und einem Fernseher aus den 70er- Jahren, der nicht funktioniert. Ein Hektar Koka bringt rund 300 Euro im Monat. Das ganz große Geld wird woanders gemacht.
    Der Drogenhandel ist die wichtigste Einnahmequelle der Guerillagruppen ELN und EPL. Sie besteuern vor allem die Zwischenhändler und die Kokain-Laboratorien. Oder sie kümmern sich gleich selbst um die Vermarktung der Ware.
    Die FARC dagegen hat versprochen, ihre Verbindungen zum Drogenhandel zu kappen. Die rund 300 Kämpfer der 33 Front der FARC, die früher in der Region Catatumbo eingesetzt waren, haben sich in der Übergangszone von Cano Indio gesammelt. Im Gegensatz zu vielen Menschen im Catatumbo ist für sie das Leben ohne Krieg schon fast Realität.
    Leo Leon singt für seine Tochter. Leo ist FARC-Guerillero, Musiker und seit sieben Monaten Vater von Laura Sarita.
    "Ich bin der glücklichste Mann der Welt. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich jemals Vater werden würde. Im Krieg gibt es dafür keinen Platz."
    Trotzdem blickt Leo Leon mit einer gewissen Skepsis in die Zukunft.
    "Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was uns in der Gesellschaft erwartet."
    Nur der Anbau von Koka-Blättern ist rentabel
    Diese Skepsis ist nicht ganz unbegründet. Es gab bereits Mordanschläge auf FARC-Kämpfer oder deren Familienangehörige. Gleichzeitig hat sich der Zeitplan des Friedensvertrags als extrem ehrgeizig herausgestellt. Die Regierung hängt mit den versprochenen Gesetzen hinterher. Auch die Entwaffnung der FARC, die eigentlich Ende Mai abgeschlossen sein sollte, kommt nur langsam voran. In vielen FARC-Camps mangelt es an der notwendigen Infrastruktur für die Übergabe der Waffen. Prinzipiell aber stehen beide Seiten noch immer hinter dem Friedensvertrag.
    Doch für einen wirklichen Frieden muss die Regierung auch mit ELN und EPL ernsthaft verhandeln. Sie muss verhindern, dass andere bewaffnete Gruppen das Machtvakuum, das die FARC hinterlassen hat, füllen. Und der Landbevölkerung legale Perspektiven bieten. Denn in vielen abgelegenen Landesteilen wie dem Catatumbo ist der Anbau von Koka-Blättern das einzige rentable Produkt. Die Drogenwirtschaft aber ist der Brennstoff der Gewalt.