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Bolsonaros Medienstrategie
Youtube und Whatsapp als Wahlhelfer

Vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien sorgen sich Beobachter um den demokratischen Ablauf - auch unsere Kolumnistin Samira El Ouassil: Amtsinhaber Jair Bolsonaro habe schon jetzt damit begonnen, die Legitimität des Wahlsystems infrage zu stellen. Dabei nutze er vor allem die sozialen Medien.

Von Samira El Ouassil | 22.06.2022
Jair Bolsonaro nach der vergangenen Präsidentschaftwahl vor Unterstützern
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (picture alliance / Photoshot)
Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 ließen erahnen, was passieren kann, wenn schlechte Verlierer plötzlich nicht mehr nach demokratischen Regeln spielen wollen.
Sie erinnern sich: Die Republikaner raunten damals schon vor der Wahl beständig von Betrug, Manipulation und Verschwörung; Donald Trump und Konsorten versuchten vehement gültige Stimmen zu delegitimieren - solange bis schließlich am 6. Januar 2021 enttäuschte Wähler der Republikaner das Kapitol in Washington stürmten. In den USA ging dieser Umsturzversuch für die Demokratie gerade nochmals glimpflich aus.
Im Falle eines anderen Landes auf dem amerikanischen Kontinent bin ich mir aufgrund der aktuellen Entwicklungen und Berichte nicht so sicher, ob das bei der nächsten Wahl nicht schlimmer ausgehen könnte - ich spreche von Brasilien.

Zweifel am Wahlsystem wecken

Im Oktober finden dort Präsidentschaftswahlen statt und der rechtsextreme Amtsinhaber Jair Bolsonaro fängt jetzt schon damit an, die Legitimität des brasilianischen Wahlsystems infrage zu stellen und frühere Wahlen als "manipuliert" zu bezeichnen. Forscher weisen warnend darauf hin, dass Fake News und Desinformationskampagnen eine zentrale Bedrohung für die kommenden Wahlen darstellen.
Bereits bei der letzten Wahl 2018 war Desinformation via Whatsapp das liebste Wahlkampfwerkzeug Bolsonaros. Etwa 120 Millionen Menschen in Brasilien – fast die Hälfte der Bevölkerung – nutzten damals die App.
Die Wähler wurden über WhatsApp-Gruppen mit gefälschten Informationen überhäuft. Eine Untersuchung des "Guardian" ergab, dass die überwiegende Mehrheit der dort geteilten Desinformationen Bolsonaro begünstigten.

Falschinformationen via Whatsapp

In einer Stichprobe der Nachrichten enthielten etwa 42 % Falschinformationen. Davon erwähnte wiederum die Hälfte eine Verschwörung zur betrügerischen Manipulation des elektronischen Wahlsystems.
Dieses Mal bemüht sich WhatsApp zwar durch Drosselung des Massenversands von Nachrichten besser gegen Desinformation vorzugehen, es bleibt jedoch zu befürchten, dass diese Maßnahmen alleine nicht ausreichen werden.
Denn während Trump im direkten Vergleich der Followerzahlen auf Facebook und auf Twitter weit vor Bolsonaro lag – also vor seiner Sperrung versteht sich –, so übertrifft ihn der brasilianische Präsident auf Youtube mit inzwischen 3,69 Millionen Abonnenten, mit denen er seine Propaganda und Verschwörungstheorien teilt.

Youtube-Empfehlungen helfen Bolsonaro

Bolsonaros Kanal sammelt bis zu 30 Millionen Aufrufe pro Monat. Sein Hass gegen Linke, Homosexuelle, die indigene Bevölkerung Brasiliens und allgemein gegen Minderheiten, sind perfekt kompatibel mit dem Empfehlungssystem der Videoplattform.
2019 untersuchten die "New York Times"-Reporter Max Fisher und Amanda Taub die Verantwortung von Youtube in der Wahl Bolsonaros.  Um die These der algorithmisierten Radikalisierung mit Daten zu untermauern, wandten sich die beiden an die Bundesuniversität von Minas Gerais, die Tausende von Videotranskripten analysierten.
Die Forscher:innen fanden heraus, dass rechte Youtube-Kanäle in Brasilien schneller wuchsen als andere. Während in den Umfragen Bolsonaros Popularität zu sinken begann, stiegen positive Darstellungen von ihm auf Youtube.

Wie ein Putsch in Zeitlupe

So wie Twitter das reichweitenstarke Rekrutierungsmedium von Trump war, insbesondere für den Sturm auf das Capitol, so sind es Youtube und Whatsapp für Bolsonaro, wo er nun stetig eine kommende Wahlmanipulation behauptet.
Was wird passieren, wenn er die Wahl im Oktober verliert, nachdem ein Teil der brasilianischen Bevölkerung seit Monaten kontinuierlich mit Desinformationen manipuliert wurde?
Die brasilianische Journalistin Patricia Campos Mello  beschreibt es so: Es ist wie ein Putsch in Zeitlupe.