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"Die Gesellschaft des Zorns"
AfD erklärt AfD

Als die AfD noch neu im Deutschen Bundestag war, sorgte "Die Gesellschaft des Zorns" für viel Aufmerksamkeit. Durch einen Zufall kommt jetzt heraus: Das Buch, das die AfD erklärte, war unter tätiger Mitwirkung eines AfD-Politikers entstanden.

Von Matthias Dell |
Buchcover von Cornelia Koppetsch: "Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter"
Cornelia Koppetschs Buch "Die Gesellschaft des Zorns." (transcript / Jérôme Gorin/imago)
Neuigkeitswert hat in den Medien das Ungewöhnliche, dafür gibt es ein bekanntes Bild: Mann beißt Hund. Dass Hunde Menschen beißen, das ist der Normalfall und deshalb nicht berichtenswert. Umgekehrt wird ein Aufreger draus.
"Mann beißt Frau" ist in dieser Logik zwar nicht ganz so aufregend, aber doch ungewöhnlich genug, um mediales Interesse zu erzeugen, denn Menschen beißen sich in der Regel nicht. In Berlin wird vor Gericht gerade ein Fall verhandelt, in dem ein Mann eine Frau gebissen haben soll. Das Interessante an diesem Fall ist außerdem, dass die aufregende Nachricht auf eine andere, ältere Geschichte verweist - bei der es durchaus spannend ist, noch einmal zu diskutieren, was daran gewöhnlich oder ungewöhnlich ist.

Erst beleidigt - dann gebissen?

Die Angelegenheit geht so: Vor einer Woche wurde in Berlin besagter Prozess eröffnet. Angeklagt ist der AfD-Lokalpolitiker Kai Borrmann. Borrmann soll die Musikjournalistin Steph Karl gebissen haben. Karl war mit einer Freundin in einem Café in Berlin-Mitte, als am Nebentisch Borrmann mit seiner Lebensgefährtin Platz nahm.
Laut Anklage soll der AfD-Mann sich in das Gespräch der beiden Frauen eingemischt und die in Nairobi geborene Musikjournalistin rassistisch beleidigt haben. Als die beiden Frauen gehen, soll Borrmann ihnen gefolgt sein, Steph Karl geschlagen - und am Ende der Auseinandersetzung auch gebissen haben.

Ein Buch, das die AfD erklärt

Am 6. Februar geht der Prozess weiter, dann soll etwa die Lebensgefährtin des AfD-Manns aussagen. Deren Name führt nun zu der älteren Geschichte: Cornelia Koppetsch. Eine Soziologin, die 2019 das Buch "Die Gesellschaft des Zorns" veröffentlichte, das seinerzeit viel gelobt, wenn nicht gefeiert wurde.
Der FAZ galt es als "großer Wurf", die Süddeutsche Zeitung pries das Werk als "bisher ambitioniertesten Versuch, den Rechtspopulismus mit einer Gegenwartsdiagnose zu verbinden". Eine Art Buch der Stunde, weil es, kurz gesagt, dem Feuilleton und der interessierten Öffentlichkeit die AfD erklärte.
Kritische Besprechungen gab es kaum und nur in randständigen Medien. Bemängelt wurde dort, zugespitzt gesagt, dass Koppetschs Versuch, den Rechtspopulismus zu verstehen, einem Verständnis für die AfD ziemlich ähnlich sah.

"Stoff diskutiert und weiterentwickelt"

Den Erfolg in der medialen Öffentlichkeit störte das nicht: Koppetsch war Diskussionsgast nicht nur beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue, das Buch für Auszeichnungen nominiert. Bis kurz vor der Verleihung des Bayrischen Buchpreises Plagiatsvorwürfe an die Wissenschaftlerin laut wurden. Die bestätigten sich in einer Untersuchung der zuständigen TU Darmstadt. Seither ist es, abgesehen von einem weiteren Plagiatsfall beim nächsten Buch, still geworden um die Soziologin.
Bis nun eben der "Mann beißt Frau"-Fall den Namen Koppetsch über Prozessberichte wieder in die Timelines spült. Und vor allem: öffentlich macht, dass die Wissenschaftlerin mit dem gefeierten AfD-Buch Lebensgefährtin des AfD-Politikers Kai Borrmann ist. Der Kai also, dem im Nachwort von "Die Gesellschaft des Zorns" gedankt wird, er habe den "Stoff immer wieder mit mir diskutiert und weiterentwickelt".

Selbstkritik wäre geboten

Klingt wie ein schlechter Witz: Das Buch, das die AfD erklären will, entsteht unter tätiger Mitwirkung eines AfD-Politikers - und wird danach gefeiert. Das ist für den medialen Umgang mit rechten Phänomenen in Deutschland eher gewöhnlich, also "Hund beißt Mann" statt "Mann beißt Hund". Eine selbstkritische Revision der Koppetsch-Begeisterung in den Feuilletons wäre geboten.