Kolumne
Die Fassadendemokratie

Was verbindet eine deutsche Bürgerin oder einen Bürger mit den Spitzenkandidaten für die Wahl zum Europaparlament, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker? Nicht genug, um die EU-Verdrossenheit vieler Menschen zu mindern.

Von Rainer Burchardt | 05.05.2014
    Eine Kaffeetasse in den Farben der Europaflagge
    Die Europäische Union bleibt sich treu: Sie entwickelt sich immer weiter weg von den Menschen des Kontinents. Selbst zur jetzt anstehenden Direktwahl zum Europäischen Parlament geht sie mit der Präsentation von supranationalen Spitzenkandidaten auf größere Distanz zum Wahlvolk. Ist es da noch ein Wunder, dass die Bürger kaum aus ihrer europapolitischen Lethargie herausgeholt werden?
    Bürgerferne Spitzenkandidaten
    Entgegen allen Beschwörungen, dass Europa bürgernah und fühlbar werden muss, werden nun also gewiss honorige Spitzenkandidaten präsentiert, die alles andere als eine überzeugende Bürgernähe repräsentieren. Nichts gegen Jean-Claude Juncker, der für die Konservativen antritt. Ist er für den Wähler in Gifhorn wirklich attraktiv und bekannt genug, um gewählt zu werden?
    Dasselbe gilt für Martin Schulz, den gegenwärtigen EU-Parlamentspräsidenten, der von den Sozialdemokraten ins Rennen geschickt wird. So nah und doch so fern, mag der gemeine Wähler denken, der sicher die Selbstvermarktungskünste der beiden anerkennen mag, jedoch ganz gewiss Probleme bei der Frage bekommt, was sie denn für das Wohl der Bürger Europas getan haben.
    CDU plakatiert lieber Merkel
    Die Union hierzulande hat schon eine Konsequenz aus dieser Einsicht gezogen und plakatiert lieber Angela Merkel als den langjährigen Ex-Chef der sogenannten Eurogruppe aus Luxemburg. Nein, es ist mal wieder eine dieser Schnapsideen der weltfremden Brüsseler Eurokraten, die die Illusion hegen, mit den internationalen Kandidaturen der Integration auf die Sprünge zu helfen. Das Gegenteil ist der Fall. Es kann wegen der gefühlten Ferne des EU-Spitzenpersonals vom politischen Alltag vieler Bürger nolens volens neben der zu erwartenden geringen Wahlbeteiligung auch noch dem Trend zur Renationalisierung Vorschub.
    Die nicht in jedem Fall vergleichbaren rechtsnationalen Bewegungen gewinnen Oberwasser. Allen voran Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in Holland oder Gruppierungen in Polen, Ungarn und Österreich. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) gehört zu diesem kruden anti-europäischen, pseudodemokratischen Sammelsurium.
    Gut gemeint ist nicht gut gemacht
    Keine Frage: Die Institutionen der EU werden nach dieser Wahl noch schwächer dastehen als bisher. Diese Fassadendemokratie, wie der Philosoph Jürgen Habermas mit anderen die EU bezeichnet, begeht aus berechtigter Angst vor dem Euro-Tod Selbstmord durch politische Parzellierung.
    Dass dies ausgerechnet noch durch die sicher gut gemeinte Initiative für gesamteuropäische Spitzenkandidaten verstärkt wird, ist geradezu tragisch. Aber man weiß: Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Die Nationalisten in Europa dürfen triumphieren, und sie werden es auch - durch die Wahlergebnisse. Der Lack ist ab, in dieser Fassadendemokratie. Schade eigentlich.
    Rainer Burchardts Kolumne "Fassadendemokratie" zum Nachhören