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Digital Detox
Kampf den Aufmerksamkeitsdieben

Anfang Januar ist die Zeit der guten Vorsätze. In diesem Jahr steht das "Digitale Entgiften" bei vielen Menschen ganz oben auf der Liste. Doch auch dieser Vorsatz ist nicht ganz einfach durchzuhalten – und das liegt nicht nur an den Suchtmechanismen der Sozialen Medien, findet Samira El Ouassil.

Von Samira El Ouassil |
Woman holding mobile phone while sleeping on bed in dark room at home model released Symbolfoto property released EBBF03
Digital Detox - abschalten statt mit dem Smartphone ins Bett zu gehen. (imago images/Westend61)
Nach Weihnachten seufzten viele Menschen in meinem Umfeld laut auf, als es darum ging, meist aufgrund der beruflichen Verpflichtungen in den digitalen Alltag zurückzukehren.
Personen von jung bis alt, erklärten mir wie belastend sie die Onlinenutzung inzwischen empfinden und sich daher dieses Jahr vorgenommen haben, ein sogenanntes Digital Detox zu versuchen, also ein "Digitales Entgiften" bzw. Internet-Fasten. Das ist allerdings gar nicht so leicht.

Angst vor dem Verpassen

Tägliche Erwartungen der Erreichbarkeit zu erfüllen, aber auch das Gefühl auf dem Laufenden bleiben zu müssen, zehren offensichtlich an vielen von uns. Hinzu kommt natürlich eine abhängig machende Mechanik der Plattformen, deren ganzes Design darauf ausgelegt ist, uns in einer Schleife von Verpassensangst und Belohnung möglichst lange auf ihren Seiten zu halten.
Und dann ist da ja noch eine Pandemie, wegen der wir ohnehin mehr als üblich online sind und durch Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischt werden.

Angst vor dem Alleinsein

Ergebnis ist das Gefühl, die Souveränität über die eigene An- und Abwesenheit im digitalen Raum verloren zu haben. Wie kriegt man also ein wenig von dem digitalen Verfügbarkeitsstress raus aus dem Kopf, in einem durchdigitalisierten Arbeitsalltag, wenn man nicht für vier Tage sein Handy und seinen Laptop im See versenken kann?
Erstmal gilt es die Ursache für das Gefühl der Unfreiheit zu ergründen, die uns im Digitalen hält: Der französische Psychoanalytiker Michaël Stora betreut seit über zehn Jahren videospielsüchtige Jugendliche und ist Co-Autor des Essays "Hyperconnexion" – Hyperverbindung. Er stellt darin fest, dass viele Menschen nicht wirklich süchtig seien, sondern vor allem Angst haben, allein zu sein. Das Smartphone ist für ihn daher ein "drahtloses Kuscheltier".

Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit

Zusätzlich zur Überwindung der Einsamkeit geht es gerade in den sozialen Netzwerken in einem harten, ökonomischen Kampf um eine wichtige Ressource: unsere Aufmerksamkeit. Wem schenken wir wie wieviel Zeit und wie selbstbestimmt und souverän sind wir Herr oder Frau genau dieser unserer Zeit?
Der Journalist Johann Hari schreibt in seinem just erschienen Buch “Stolen Focus: Why You Can't Pay Attention” – übersetzt: „Gestohlener Fokus: Warum Sie nicht aufpassen können“ – folgenden wichtigen Satz: "Ihre Aufmerksamkeit ist nicht schlechter geworden. Sie wurde ihnen gestohlen."
Diese Zeit-Enteignung müssen wir unter Kontrolle bringen, mit klaren Priorisierungen und einem Bewusstsein dafür wem wir unsere Aufmerksamkeit schenken wollen und wem eben nicht.

Möglichkeit des Intervallfastens

Tageweise abschalten wäre hier ein revolutionärer Akt der Selbstermächtigung, ist aber für manche einfacher als für andere, ich könnte das zum Beispiel aus beruflichen Gründen nur schwer.
Wenn uns der Luxus einer digitalen Entgiftung also versagt bleibt, hilft vielleicht wenigstens digitales Intervallfasten: Das bedeutet, Zeitfenster festzulegen in denen man bewusst online ist, so wie man zum Beispiel ein Café, eine Bar oder eine Haus-Party besucht. Man macht eine Runde durch die digitalen Räume, holt sich ein paar Leseempfehlungen, grüßt ein, zwei Leute und verabschiedet sich nach ein paar Getränken, ohne davon auszugehen, dass der lustigste Teil genau in der eigenen Abwesenheit stattfindet.

Nicht von Medien ausnutzen lassen!

Man würde ja auch nicht hektisch von Zuhause aus alle zehn Minuten auf die Party zurückrennen, um zu schauen, ob inzwischen etwas passiert ist. Weitere Empfehlungen, die zwar nicht neu oder originell sind, dennoch nicht minder hilfreich oder wichtig: Nicht morgens mit dem Smartphone aufstehen und abends mit ihm schlafen gehen.
Alle Pushmitteilungen und Hinweise ausmachen, die nicht überlebensnotwendig sind. Gruppenchats auf stumm stellen. Newsletter entrümpeln und abbestellen. Den Bildschirm auf schwarz-weiß stellen (hat mir persönlich sehr geholfen). Nutzen sie ihre Medien selbstbestimmt - lassen Sie sich nicht von ihnen ausnutzen.