Der Tod von berühmten Menschen ist der Stoff, aus dem heute die Push-Nachrichten sind – eine Eilmeldung, die umgehend auf dem Smartphone aufleuchtet. Gerade wenn der Tod unerwartet kommt. Das war auch schon so, als es noch keine Smartphones und keine Push-Nachrichten gab. Am 5. April jährt sich der Tod des Nirvana-Sängers Kurt Cobain zum 30. Mal, und ich würde behaupten, dass viele Leute, die damals jung waren, noch wissen, wo sie waren, als sie vom Tod Cobains im Alter von nur 27 Jahren erfuhren.
Das Unberechenbare planen
Für den Journalismus ist der Tod von bekannten Personen eine Herausforderung. Einerseits sind diese Todesmeldungen Kerngeschäft – eine Neuigkeit, verbunden mit Emotionen, die verbreitet werden muss. Andererseits ist der Tod unberechenbarer als ein CDU-Parteitag oder die Oscar-Verleihung, man kann mit der Berichterstattung darüber nicht kalkulieren wie mit dem Ergebnis aus dem Spitzenspiel der Frauen-Fußballbundesliga.
Deshalb ist gerade im Live-Medium Radio der Tod von berühmten Menschen die letzte Ungewissheit vor jeder Sendung, die alle Planung über den Haufen werfen kann – was macht man als Moderatorin einer Kultursendung um 23 Uhr, wenn vier Minuten vorher die Nachricht vom Tod einer berühmten Schriftstellerin kommt?
16 Autoren für Castros Nachruf
Deshalb versucht sich der Journalismus so gut es geht für solche Fälle zu wappnen. Nachrufe auf bekannte Personen, die ein gewisses Alter erreicht haben, werden vorproduziert, damit man sie umgehend veröffentlichen kann. Als 2016 Fidel Castro starb, veröffentlichte die "New York Times" ein paar Tage später einen Text darüber, wie sich die Zeitung auf Castros Tod vorbereitet hatte – über Jahrzehnte. 16 verschiedene Leute erzählten von ihrer Arbeit am Nachruf für Castro, einige der Autoren waren gestorben, ehe der finale Text über Castro dann 2016 wirklich erschien - der erste vorbereitete Artikel stammte von 1959.
Müsste man nicht erstmal trauern?
Wenn ich davon Leuten erzähle, die nicht im Journalismus arbeiten, wirft deren Reaktion darauf nicht selten ethische Fragen auf: Wie zynisch ist es, einen Nachruf auf eine Person zu verfassen, wenn diese noch lebt? Die Frage ist berechtigt, und schon das schnelle Reagieren auf eine Todesnachricht kann unpassend wirken – müsste man nicht erstmal trauern, die Nachricht verdauen, ehe man sich an den Nachruf setzt?
Am 26. Februar ist der Theatermacher René Pollesch gestorben im Alter von nur 61 Jahren. Pollesch hat vielen, die sich für Theater interessieren, etwas bedeutet, weil seine Stücke so anders waren als das Theater, was man kennt, lustig und unterhaltsam und zugleich existentiell verzweifelt und berührend. Die Nachricht von Polleschs überraschendem Tod kam an einem Montagabend, kaum zwei Stunden später standen die ersten Kritiker vorm Radiomikrofon und würdigten Polleschs Bedeutung.
Nachrufe sind Teil der Trauerarbeit
Der Schauspieler Fabian Hinrichs, der viel mit Pollesch gearbeitet hatte, schrieb zwei Tage später einen Text über seinen Regisseur und Freund. Und warf darin die Frage auf, warum das mit den Nachrufen so schnell gehen muss – warum nicht erst in einem Monat oder in einem Jahr? Die Antwort hat Hinrichs selbst gegeben, der etwas später noch einen weiteren Text über René Pollesch veröffentlichte: Nachrufe sind Teil der Trauerarbeit, sie helfen bei der Bewältigung, die eine Eilmeldung auslösen kann, gerade, wenn der Tod unerwartet kommt. Und deshalb ist es wichtig, dass der Journalismus seine Arbeit macht.
Die in diesen Fällen eh eine besondere ist, würde ich aus eigener Erfahrung sagen. Denn um einen guten Nachruf zu verfassen, muss einem die verstorbene Person etwas bedeutet haben.
Matthias Dell, 1976 geboren, ist freier Redakteur und Autor bei Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur. Auf ZEIT ONLINE veröffentlicht er wöchentlich "Tatort"- und "Polizeiruf 110"-Kritiken.