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Ende der alten Twitter-Haken
Wenn Beliebtheit sich kaufen lässt, Echtheit aber nicht

Der blaue Twitter-Haken ist zukünftig nur noch gegen Bezahlung erhältlich. Wirklich verifizieren lässt sich damit aber nur noch die Bereitschaft, Elon Musks Geldbeschaffungsmaßnahme zu unterstützen oder nicht, meint Samira El Ouassil.

Eine Kolumne von Samira El Ouassil | 29.03.2023
Twitter Account mit blauem Haken (Symbolfoto)
Künftig müssen Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer ein Abo abschließen, um den Verifizierungshaken zu erhalten und andere Funktionen wie Umfragen nutzen zu können (IMAGO / Wolfgang Maria Weber)
Es klingt ein bisschen wie ein Aprilscherz. Am Samstag, den 1. April soll auf Twitter die sogenannte “Legacy Verification" verschwinden, also die blauen Verifizierungshaken, die Accounts als echt bestätigten, schon lange bevor Elon Musk Chef der Plattform wurde.
Das bedeutet: Zukünftig werden alle Twitter-User, die sich weiterhin verifizieren lassen möchten, ein Abonnement abschließen müssen, damit dieser kleine blaue Kreis mit dem weißen Häkchen neben ihrem Namen erscheint; also auch prominente Personen oder solche des öffentlichen Lebens, die dieses Symbol bislang kostenlos erhalten haben.

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Menschen, die diesen vermeintlichen Indikator für die eigene Echtheit behalten möchten, müssen nun mindestens sieben Euro pro Monat zahlen, dafür kann ihn jetzt aber auch jeder erwerben. Und laut Zapp, dem Medienmagazin des NDR, sollen Unternehmen und Organisationen, denen dieses Abzeichen ebenfalls angeboten wird, 1.000 Euro pro Monat überweisen, um eine goldgelbe Version dieses Symbols zu erhalten.

Wer ist die wahre Monica Lewinsky?

Am Wochenende schrieb die Anti-Cyber-Mobbing-Aktivistin Monica Lewinsky in einem lakonischen Tweet: "Well this is going to be fun…" Also: "Tja, das wird ein Spaß…" Dazu postete sie eine Liste von Accounts, die sich bereits jetzt mithilfe der käuflich erwerbbaren Haken als die angeblich wahre "Monica Lewinsky" ausgeben. Lewinskys Konsequenz aus diesem Identitätsklau: Sie wies ihre 1,2 Millionen Followerinnen auf ihren Instagram-Account hin.

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In der Tat wurde die Verifizierung eingeführt, um ersichtlich zu machen, dass eine Person des öffentlichen Lebens auch tatsächlich echt ist, was unter anderem gerade für journalistisches Arbeiten eine wichtige, wie sinnvolle Funktion erfüllt, wenn sichergestellt werden muss, dass nur validierte Accounts zitiert werden und man nicht aus Versehen beispielsweise Verschwörungstheorien eines falschen Donald Trumps verbreitet. Außerdem trug sie dazu bei, Identitätsdiebstahl, Enkeltricks und andere Betrugsmaschen zu verhindern.

Identitätsdiebstahl leicht gemacht

Was bedeutet es nun, wenn sich jeder diese Verifizierung einfach kaufen kann? Zunächst könnte ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko für Menschen entstehen, deren Identität gerne gestohlen oder denen gerne Falschaussagen in den Mund gelegt werden, wie zum Beispiel für Regierende und Medienschaffende.
Manche prominente User werden sich aber vielleicht auch heimlich daran stören, dass ein Distinktionsmerkmal, das nur einigen Akteuren der Aufmerksamkeitsökonomie vorbehalten war, nun für alle verfügbar ist – und gar nicht mehr Symbol der eigenen angeblichen Wichtigkeit. Und handelte es sich zuvor vielleicht nicht auch schon um ein unfaires und unklares System, intransparent und willkürlich, wer von den Auserwählten den prestigeträchtigen Haken bekommt?

Geldbeschaffungsmaßnahme für Elon Musk

Denn Faktoren wie "Prominenz" oder "gesellschaftliche Relevanz", nach denen vorher der Blue Checkmark händisch vergeben wurde, sind durchaus eher schwammige Kategorien. Für Musk ist diese Entscheidung also auf ideeller Ebene vielleicht fast schon wieder konsequent: Beliebtheit wird sich hier einfach erkauft, Sichtbarkeit gibt eben nun vor allem für diejenigen, die bereit sind dafür zu zahlen - und es sich leisten können.
Natürlich ist der Verkauf des begehrten Abzeichens eine Geldbeschaffungsmaßnahme für Elon Musk, der den blauen Vogel doch erstaunlich erfolgreich gegen die Wand fährt.
Was für ein schlauer Schachzug also, Einnahmen zu generieren, indem er bereits existierende Elemente der Seite entfernt, um sie dann an diejenigen zu verkaufen, die diese aufgrund ihres bisherigen Nutzungsverhaltens und ihrer Online-Persona weiterhin benötigen könnten – wobei diese Haken nun jetzt eben zugleich doch eher nutzlos geworden sind, wenn sie jeder kaufen – und gewissermaßen per Überweisung zur Monica Lewinsky werden kann.

Woran Sie die echte Samira El Ouassil erkennen

Ich persönlich bin Elon Musk dennoch dankbar. Ich besaß den Haken neben meinem Namen bereits vor dem neuen Abomodell. Seit der Einführung der Erwerbarkeit plagt mich tatsächlich etwas die peinliche Befürchtung, irgendwer könnte beim schnellen Durchscrollen ernsthaft glauben, ich würde dem Tesla-Tycoon aufgrund meines narzisstischen Geltungsbedürfnisses freiwillig Geld in den Rachen werfen.
Die Publizistin Samira El Ouassil auf der phil.cologne 2021 in Köln
Künftig ohne blauen Haken unterwegs - Samira El Ouassil kommentiert beim Deutschlandfunk aktuelle Medien-Themen (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt)
Ironischerweise hilft dieses neue System nun irgendwie trotzdem bei der Verifizierung meiner wahren Identität: Die echte Samira würde nie, nie, nie im Leben dafür zahlen. Zukünftig erkennen sie also alle echten Samira El Ouassils an der Abwesenheit des Hakens.