Archiv

Donald Trump, Elon Musk und die Medien
Nicht jeden Aufreger zum Thema machen

Donald Trump darf, aber will gar nicht auf Twitter zurückkehren. Elon Musk twittert dafür umso mehr und die Medien berichten zuverlässig. Das bringt Klicks. Aus journalistischer Perspektive ist das allerdings verantwortungslos, meint Kolumnistin Marina Weisband.

Eine Kolumne von Marina Weisband |
Auf einem Smartphonebildschirm ist am 20.11.2022 ein Tweet von Ekon Musk zu sehen, der das Ergebnis seiner Twitter-Umfrage zeigt, ob das Profil des ehemaligen US-Präsident wieder freigeschaltet werden soll. 52 Prozent der Umfragen-Teilnehmerinnen stimmten für ja.
52 Prozent dafür - nachdem Elon Musk zu einer Twitter-Umfrage aufgerufen hatte, ob Donald Trumps Profil wieder freigeschaltet werden soll, darf der ehemalige US-Präsident theoretisch wieder twittern. (IMAGO / aal.photo / IMAGO / Piero Nigro)
Ganz Twitter amüsiert sich: Da hat Elon Musk den Kurznachrichtendienst extra mit großen finanziellen Verlusten gekauft, hat Redefreiheit für alle verkündet und sogar eine Twitterumfrage inszeniert, ob der Account von Donald Trump wieder freigeschaltet werden soll - und dann will Donald Trump gar nicht auf Twitter zurückkommen!
Da helfen alle Memes nicht, mit denen Musk versucht, den ehemaligen Präsidenten zu ködern: Der bleibt auf seiner eigenen Plattform Truth Social, wo ihm niemand widerspricht. Warum ist es überhaupt so ein Politikum, ob Trumps Account nun läuft oder nicht? Man muss ihm ja nicht folgen.

Trump war Mediengold

Nun, hinter der Popularität und Omnipräsenz von Trump stand ein Mechanismus in klassischen Medien, der mit ihrer Gewinnorientierung zu tun hat. Aus jedem Tweet von Trump lässt sich sehr leicht eine Schlagzeile produzieren. Sie kostete keinerlei Arbeit oder Recherche, brachte aber zuverlässig Klicks. Trump war Mediengold. Nur darum konnten sich Qualitätsmedien tagelang über seinen Tweet mit dem geheimnisvollen Wort „Covfefe“ amüsieren, obwohl er nicht mal irgendeine Aussage oder Sinn enthielt.  
Gerade Onlinemedien hatten so die Möglichkeit, Content zu produzieren, der sie praktisch nichts kostete. Es wäre aus geschäftlicher Sicht geradezu verantwortungslos von ihnen, diese Gelegenheit nicht zu nutzen.
Porträtfoto von Marina Weisband
Marina Weisband (Lars Borges)
Aus journalistischer Perspektive hingegen war es verantwortungslos, diese Gelegenheit zu nutzen. Denn während Trumps irre Tweets zuverlässig populären Content generierten, verbreiteten Medien damit automatisch seine Misogynie, seinen Rassismus, seine Verschwörungstheorien. Trump war keine gefährliche Person, er war ein gefährliches System. Mit seiner Kandidatur für die nächste Wahl verspricht er, das wieder zu werden. Auch wenn wichtige Akteure der republikanischen Partei ihn inzwischen abgeschrieben haben.  

Trump, West, Musk - Akteure desselben Phänomens

Jetzt ist diese Kolumne ein kleiner performativer Widerspruch, weil sie Trump ja zum Thema macht. Aber dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf Trump allein! Es gilt für Kanye West genauso wie inzwischen für Elon Musk selbst. Twitter ist ein Ort, auf dem sehr öffentliche Menschen betrunken Rassismus, Antisemitismus oder Verschwörungstheorien von sich geben können und in der Empörung darüber werden ihre Worte dann bis ins letzte Wohnzimmer verbreitet.  
Dass sie mächtig sind und ihre Worte darum Nachrichtenwert haben, ist dabei nur bedingt ein Argument. Erstens werden diese Menschen ja gerade durch Aufmerksamkeit mächtiger, speziell wenn sie kein politisches Amt haben. Zweitens gibt es einen Unterschied zwischen allgemeiner Aufklärung und Einordnung, gern mit zitierten Tweets, auf der einen Seite – und dem medialen Abfeiern der täglichen Eskapade auf der anderen Seite.  

Seufzen statt Schreiben

Es gibt kaum einen Mechanismus, wie man etwas für Medien so Verlockendes eindämmen könnte – außer durch soziale Konventionen. Ich höre aus Redaktionen manchmal die bewusste Entscheidung, diesen oder jenen Aufreger des Tages nicht zum Thema zu machen. Und darin liegt die Lösung.
In einer freien Presselandschaft kann jedes Onlinemagazin genüsslich den jüngsten Ausfall eines infantilen Millionärs zerlegen – aber in einem freien Land können auch alle müde darüber seufzen und feststellen, dass dieses Medium nicht das hat, was klassischen Journalismus in der heutigen Zeit so brennend wichtig macht.