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Kolumne von Marina Weisband
In wenigen Schritten zum erfolgreichen Querulanten

Egal ob Klima-, Schul- oder Corona-Debatte. Finden Sie den Punkt, bei dem sich alle einig sind. Vertreten Sie die Gegenposition – und mediale Aufmerksamkeit ist gewiss. Ein Leitfaden für Personen des öffentlichen Lebens, die in Talkshows wollen.

Von Marina Weisband |
25.12.2020, Berlin. Blaesshuehner nehmen einen Stockentenerpel (M) auf dem Wannsee in die Zange. Die Tiere streiten um Futter, dass ihnen von Spaziergaengern zugeworfen wird und die Blaesshuehner versuchen, die Ente abzudraengen. Foto: Wolfram Steinberg/dpa
"Vertreten Sie die gegenteilige Meinung", empfiehlt Marina Weisband: "Niemand wird Sie aufhalten können!" (picture alliance / Wolfram Steinberg / Wolfram Steinberg)
Sind Sie hauptberuflich eine Person öffentlichen Lebens, aber in letzter Zeit nicht mehr gefragt? Möchten Sie mehr im Fernsehen auftreten, Bücher verkaufen? Fehlt es Ihnen aber ein wenig an eigener Position? Kein Problem. Nehmen Sie doch: die Gegenposition! 
Suchen Sie sich das Thema der Zeit und finden Sie den einen Punkt darin, über den sich alle einig sind. Vertreten Sie die gegenteilige Meinung. Es ist völlig egal, wie Sie das unterfüttern. Wenn Ihnen jemand widerspricht, müssen Sie nur von Mainstreammeinung sprechen, von Angepasstheit, von Zensur und, am besten, Diktatur.  

Je extremer die Meinung, umso mehr Aufmerksamkeit

Warum ist diese Strategie so erfolgreich? Das Thema der Stunde ist sowieso in allen Talkshows. Die Personen mit den extremsten Meinungen erregen natürlich am meisten Aufmerksamkeit. Und dann müssen in der Talkshow natürlich „alle Seiten“ der Debatte vertreten sein. Dass die Debatte sich vorher darum drehte, wie man Verkehr in Innenstädten am besten regeln kann – geschenkt! Erzählen Sie etwas von einem Krieg gegen alle Autofahrer.  

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Menschen sprechen gern über das, was sie verstehen. Je grundlegender die Debatte ist, desto mehr kann man sich selbst einbringen. Das Gespräch darüber, ob Atomkraft tatsächlich dringend benötigt wird, um schnell emissionsfreie Energie zu gewinnen oder ob die damit einhergehenden langfristigen Probleme zu gravierend und der Effekt zu gering sind, kann schnell akademisch und kompliziert werden. Behaupten Sie stattdessen, dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gibt! 

Platz in der nächsten Talkshow sicher

Die meisten Menschen werden Sie dafür auslachen, wie dumm Sie sind. Sie werden empört Ihre Zitate verbreiten, um sich über Sie aufzuregen – kostenlose Werbung! Und einige Menschen werden sich Ihnen anschließen, einfach, weil sie generell ein Misstrauen gegen „die Presse“ und „die da oben“ und „den Mainstream“ haben und gern dagegen sind. Sie haben hier die Chance, zum Gesicht einer Bewegung zu werden! 
In jedem Fall ist Ihnen ein Platz in der nächsten Talkshow sicher. Schließlich könnte jemand Sie beschimpfen und das bringt Einschaltquote. Außerdem muss man ja alle Seiten abbilden. Sonst muss man sich von Ihren neuen Fans den Vorwurf der Zensur gefallen lassen! 

Es geht um aufmerksamkeitskapitalistische Logiken

Sie haben auch die Chance, jede sinnvolle Debatte im Keim zu ersticken und die Demokratie selbst in die Knie zu zwingen. Denn man kann sich nicht darüber streiten, welche Pandemiemaßnahmen sinnvoll und verhältnismäßig sind, wenn Sie in der Runde sitzen und behaupten, dass es gar keine Pandemie gibt. Man kann keine demokratische Debatte darüber führen, wie man den Zustand von Schulen unter Föderalismus und Personalmangel verbessern könnte, während Sie danebensitzen und rufen, dass das ganze Problem die ausländischen Kinder seien.  
Porträtfoto von Marina Weisband
Marina Weisband, seit 2017 Kolumnistin für @mediasres (Lars Borges)
Identifizieren Sie immer genau den einen Punkt, bei dem die Gesellschaft sich einig ist und eine sinnvolle Debatte starten kann – und greifen Sie ihn zielsicher an! Packen Sie die Öffentlichkeit bei ihren aufmerksamkeitskapitalistischen Logiken!
Niemand wird Sie aufhalten können! Außer vielleicht Redaktionen, die Sie durchschauen. Und die es als irrelevant befinden, Ihnen ein Megaphon zu geben.