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Anhaltende Krisen
Warum manche Nachrichten relevant bleiben

Wenn Russland die Ukraine überfällt, im Iran tausende Menschen für einen Regimewechsel demonstrieren oder Pflegepersonal die Situation in Kliniken anprangert - immer berichten Medien. Doch in Zeiten multipler Krisen wandert die Aufmerksamkeit schnell weiter, kritisiert Kolumnistin Marina Weisband.

Von Marina Weisband |
Demonstrantinnen tragen ein Schild mit der Aufschrift "Notaufnahme in Not! UKE ZNA Nord". Zahlreiche Demonstranten aus dem Gesundheitsbereich ziehen durch die Düsseldorfer Innenstadt in Richtung Nordrhein-Westfälischer Landtag. Die Gewerkschaft Verdi hatte zur Demonstration für Unikliniken unter dem Motto "Wir für Euch, ihr für uns" aufgerufen.
79 Tage dauert der Streik an den Unikliniken in NRW 2022. Die Zustände in der Pflege bleiben weiterhin verschärft. (dpa | Thomas Banneyer)
Eines der wesentlichen Kriterien, ob etwas „Nachrichtenwert“ hat oder nicht ist neben Nähe, Tragweite, Prominenz und so weiter eben auch die Neuheit. Klar: Wenn sich etwas neu ereignet oder es neue Entwicklungen gibt, kommt es in die Nachrichten.

Nicht neu und trotzdem relevant

Aber was ist eigentlich mit den Geschichten, in denen sich scheinbar nichts neu entwickelt, aber die einfach anhalten und wichtig sind und Auswirkungen haben? Die Pflegekrise flammt immer wieder auf, wenn Infektionswellen hoch sind. Aber wenn die Nachrichten verstummen, gewinnt man den Eindruck, dass die Lage nun besser sei. Dabei bleiben überarbeitete Pflegekräfte, die sich und Patienten unwillkürlich in Gefahr bringen.
Die Demonstrationen im Iran haben breite mediale Öffentlichkeit erfahren, bis sich eine gewisse Routine eingespielt hat. Irgendwann kann man immer nur noch dasselbe berichten: heute wieder Proteste, wieder junge Menschen verhaftet, vergewaltigt, hingerichtet. Dabei ist die internationale Aufmerksamkeit das Einzige, was die Demonstrierenden halbwegs schützen kann.
Oder der Krieg in der Ukraine. Immer dieselben Nachrichten. Hier etwas Gebiet befreit, hier Städte bombardiert. Regelmäßig flammt eine Diskussion über Waffenlieferungen auf, und die Bundesregierung erklärt, warum wir auf keinen Fall etwas liefern können, ehe wir es dann verspätet liefern. Natürlich rücken diese Nachrichten irgendwann in den Hintergrund. Aber ist das eine Abbildung der Wirklichkeit?

Müde von ständigen Krisen

Ich habe neulich mit meiner Familie in der Ukraine telefoniert. Zum ersten Mal hat meine Großtante geweint. Sie hat nie geweint. Nicht, seit der Krieg begonnen hat. Was also war hier die „Neuheit“, die einen Nachrichtenwert hätte? Nichts. Sie ist einfach müde. Aufgezehrt von den Monaten der Angst und des Mangels und der Todesmeldungen.
Es ist leicht für mich, zu kritisieren, dass man dieses menschliche Leid irgendwann medial zur Seite schiebt. Aber dann müsste ich mir vorwerfen lassen, dass ich viel anderes menschliches Leid nicht beachte, das ebenfalls geschieht. Und die Wahrheit ist: Unser Gehirn ist einfach nicht darauf ausgelegt, ständig jede Krise auf dem Schirm zu haben. So können wir nicht leben.
Ich habe insofern Verständnis dafür, dass Dinge nur dann in den Nachrichten eine Rolle spielen, wenn es aktive Eskalationen gibt. Wir müssen aber auch eines beachten: die Mächtigen, die Menschenrechte unterdrücken; die Aggressoren, die Krieg beginnen; die Unternehmer, die ihre Arbeitskräfte ausbeuten: Sie alle verstehen das ebenso und fahren Strategien, die darauf kalkulieren, aus den Augen verloren zu werden. Wo die Öffentlichkeit nicht hinsieht, haben sie absolute Macht.

Berichten, was weiterhin ist

Vielleicht bräuchte es also mehr Überraschungsvisiten bei den Langzeitpatienten unter den Themen. In jedem Nachrichtenmagazin eine Rubrik über „Hey, was geschieht eigentlich derzeit in XY?“
Es ist verlockend, über das zu berichten, worüber alle anderen berichten. Relevanz und Nachrichtenwert können sich damit praktisch selbst generieren. Doch ich wünsche mir mehr mutige Suchscheinwerfer, die zur besten Sendezeit, auf den vorderen Seiten, das Auge dahin richten, wo es zunächst nicht offensichtlich erscheint. Um die Wirklichkeit besser abzubilden.