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Komisch geht anders

Frank Castorf inszeniert "Der Geizige" mit Martin Wuttke und Sophie Rois an der Berliner Volksbühne. Der Abend zielt mit Gewalt auf komisch und tieferen Sinn. Die Uraufführung des Stücks fällt beim Publikum durch.

Von Hartmut Krug | 15.06.2012
    Frank Castorfs Inszenierung beginnt als (vielleicht unfreiwillige) Komödienparodie: Die Tochter des geizigen Harpagon berät sich nacheinander mit ihrem Liebhaber und ihrem auch verliebten Bruder, und die jungen Männer tragen wuschelige Perücken und schrille Glitterjäckchen, dazu kurze schwarze Pantihosen über langen Strümpfen, während die junge Frau mit ihrer propellerartigen roten Schleife auf dem Kopf in einem bodenlangen, markise artigen, rot-weiß gestreiftem Kleid steckt. So sieht Komik aus.

    Man wechselt die Sprechweisen von aufgeregt zu schrill, klettert auf den Stühlen herum, rennt rein und raus aus dem hässlichen Zimmer mit seinen braunen Kassettenwänden und zieht auch mal den Hintern blank, um dem ungeliebten Vater braune Streifen auf dessen Lieblingssessel zu rubbeln. All das dauert, wie nahezu jede Szene, viel zu lang. Von Rhythmus und Timing weiß diese Inszenierung nichts und von Molières schnellem Witz, in dessen langen Monologen und kurzen Repliken bleibt, auch nicht viel. Dafür gibt es aufgedreht tobende Brachialkomik und viel Geschrei.

    Der reiche und geizige Harpagon will als Konkurrent seines Sohnes eine junge Frau heiraten und seine Tochter, die einen jungen Mann liebt, soll einen reichen Alten ehelichen. Der aber entpuppt sich als tot geglaubter Vater der von Harpagon begehrten Frau sowie des Liebhabers seiner Tochter, und so gibt es für alle ein Happy End. Weniger für Harpagon, denn er, der unentwegt um seine Geldkassette zitterte, bekommt die zwischenzeitlich verschwundene wieder.

    Castorfs Abend heißt "nach Molière." Was bedeutet, dass dramaturgisch gebastelt, tief gebohrt und mächtig aufgefüllt wird. Unter anderem mit Anspielungen auf den Missbrauch der Tochter durch Harpagon und natürlich mit ideologischen Gemeinplätzen: mit Marat in der Wanne, mit der Französischen Revolution und dem Kommunistischen Manifest, und schließlich mit einem Text von de Sade, in dem es ausführlich um Koprophagie geht, also ums Kot-Essen. Diese Zitierszenen finden hinterm Vorhang statt und werden als Livevideo gezeigt. Sie besitzen etwas besserwisserisch Aufgesetztes, ja überflüssig Auftrumpfendes und fügen Molières Stück, das zeigt, wie der Geiz menschliche Haltungen und soziale Beziehungen zerstört, keinen Mehrwert zu.

    "Zum Totlachen" verspricht oder droht es in großen Lettern vom Vorhang der großen Jahrmarktsbude, die Bühnenbildner Bernd Neumann für das dreiteilige Molière-Projekt der Volksbühne auf deren Bühne gestellt hat. Doch der angestrengte Abend zielt mit Gewalt auf komisch und tieferen Sinn. Gelacht wurde selten, und Lachopfer hat es nicht gegeben, aber einen mächtigen Publikumsschwund während der Aufführung.

    Dabei wirft sich Martin Wuttke gewaltig hinein in die Titelrolle. Auf der kleinen Person in Schwarz rutscht eine wuschelige Perücke hin und her. Oben umflattert Wuttke eine Art Minicape, unten herum ist er dick ausgestopft. Der Schauspieler rast durch viele Posen, zappelt und spuckt, kreischt und springt, hampelt und zitiert sich als Arturo Ui oder Tatort-Kommissar - und kennt in allem kein Maß und keine Form. Nur in einer Szene mit Kathrin Angerer als Heiratsvermittlerin, die ihn von seinem Altsein als Vorteil überzeugt, wird die Ernsthaftigkeit, die in echter Komik steckt, und damit zugleich auch die Komik, in aller Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit deutlich.

    An der Volksbühne hat sich eine Spielweise entwickelt, die gegen den Bühnenrealismus eine übersteigerte Kreisch- und Zappelei setzt, die von der individuellen Besonderheit der einzelnen Schauspieler ihre Kraft bekommen muss. Mittlerweile aber hat sich dieser Stil zu einer überdrehten Form entwickelt, die nichts mehr erzählt, sondern nur unerbittlich leer und oftmals unerträglich wirkt. Nicht so bei Sophie Rois, die souverän und ruhig zwischen drei Rollen springt. Aber bei den meisten anderen Darstellern, vor allem in den Livevideos, bei denen die Kamera ihnen allzu nah kommt. Da wird es schrecklich unappetitlich.

    Das Publikum aber nahm alles hin. Auch die lange Suche kurz vor Mitternacht nach der verschwundenen Geldkassette, bei der sich Wuttke, Rois und Angerer als Fernsehkommissare zitierten. Auch wenn das Publikum in den Reihen vor mir dabei im Dämmerschlummer schien, zum solidarischen Applaus für die geliebte Volksbühne reichte es selbst bei diesem schrecklichen Abend. Komisch geht anders.