War da was in Riesa? Ach ja, beim Parteitag der AfD rief Alice Weidel „Re_Migration“ und wirkte wie eine Chorleiterin, die zum „Und jetzt alle“-Sound anhebt. Re-Migration, das neue Volkslied. Die Öffentlichkeit nimmt‘s zur Kenntnis. Man hat sich gewöhnt.
Kleine Erinnerung: Vor einem Jahr fand das Recherchenetzwerk Correctiv heraus, dass sich in Potsdam eine rechte bis rechtsextreme Runde ums Thema Re-Migration versammelt hatte. Alice Weidel entließ daraufhin ihren Referenten, denn der war in Potsdam dabei. Die Partei sang Anfang 2024 das Wort noch nicht begeistert im Chor mit, sie fabrizierte ein Stimmengewirr aus „Jawoll!, Re-Migration“ und „böse, böse Kampagne der Systemmedien“.
Das völkische Volkslied jetzt ist gerade deshalb so bemerkenswert, weil es nicht überrascht. Alles läuft nach Plan, alles ist gut durchkomponiert. Die Neue Rechte hat klar formulierte kulturelle Ziele: den Diskurs drehen, Begriffe prägen, Unerhörtes normalisieren. Eine schuldbewusste Erinnerungskultur gilt als „Umerziehung“, Faktenchecks werden zur „Zensur“ umgedeutet, „illegale Migration“ wurde zum geflügelten Wort, als sei Migration per se kriminell.
Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaats
Wer so dauerbeschallt wird, wähnt sich in einer Diktatur, glaubt, sich permanent gegen Bevormundung wehren zu müssen. Rassismus und Sexismus, Rachegelüste, Hass, Neid – all das gehört zum neurechten Grundton. Insofern ist bei der AfD schon lange nichts mehr zu entlarven, schon lange niemand mehr durch Interviews inhaltlich zu stellen, wie es dann heißt. Die AfD strebt vor aller Augen in Parlamente, um demokratische Institutionen zu sabotieren. Als der Riesaer-Parteitag jubelte: „Alice für Deutschland“ war das eine Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaats.
Bei aller Vorsehbarkeit: Zur neurechten Komposition gehören auch einige Takte Selbstverharmlosung, „Camouflage“ genannt. Man gibt sich bürgerlich, besorgt, als verfolgte konservative Minderheit, die sich bloß ins Deutschland der Helmut-Kohl-Jahre zurücksehnt, als Familie noch zählte und nicht Gender. Diese Tarnphase ist jetzt vorbei, ganz offiziell.
Wettbewerb um die schrillsten Töne
Die demokratischen Parteien haben das Kunststück nicht vollbracht, einerseits ihr Profil zu schärfen und andererseits das Unaufgebbare, Gemeinsam-Demokratische zu betonen. Stattdessen läuft der Wettbewerb um die schrillsten Töne zum Thema Migration weiter. Unisono zeigen Studien, dass es sich nicht lohnt, die Phrasen der Rechtspopulisten zu übernehmen. Sie zeigen auch, dass Denkzettel- und Protestwähler selten sind. Aber was die Politikwissenschaft sagt, klingt eben unknackig.
Wer die AfD wählt, will Rassismus, Sexismus, Abwertung, Neid, den Bruch mit dem verhassten System. Wer so denkt, geht davon aus, dass die Rache die Richtigen trifft, die Fremden, die Faulen, natürlich nie einen selbst.
Viele, die nicht AfD wählen, hören den völkischen Liedern schulterzuckend zu. Etwas größere Erinnerung: Der evangelische Pfarrer Martin Niemöller fand die Nazis zuerst gut, nach 1933 wurde er nach und nach zum Gegner. Er sagte: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Kommunist.“ Er sagte: „Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.“
Solche Sätze sind so verdammt moralisch, auch Moral gehört zu den kulturell umgewerteten, abgewerteten Begriffen.
In Neurechten Machtszenarien kommt es darauf an, ob die Konservativen in den völkischen Chor einstimmen. Manche CDUler klingen wie die AfD, viele noch nicht. Es ist falsch, die Union als faschistisch zu bekämpfen und das demokratische Bündnis mit ihr zu verweigern. Niemöllers berühmtes Zitat endet so: „Als die Nazis mich holten, war niemand mehr da, um zu protestieren.“ Im Moment bleibt eine Mehrheit übrig, die protestieren könnte. Leider bringt sie noch keinen demokratischen Chor zustande.