Kommentar: Bürgergeld
Bildungsmisere bleibt ungelöst

Das Bürgergeld wird erhöht. Kritiker fordern Sanktionen für Arbeitsunwillige. Doch das Problem liege woanders, meint Volker Finthammer. Die Jobcenter könnten nicht reparieren, was der Staat versäumt habe: die Ausbildung von Jugendlichen.

Von Volker Finthammer | 01.09.2023
Ein Mann mit Einkaufstüten.
Mehr in der Tüte: 61 Euro mehr sollen alleinstehende Bürgergeldbezieher im nächsten Jahr erhalten, also insgesamt 563 Euro. (imago / Michael Gstettenbauer)
Für sich genommen ist die Anhebung beim Bürgergeld ein großer Schritt. Dies vor allem deshalb, weil in der neuen Berechnungsgrundlage die Inflationsentwicklung mehr als doppelt so stark gewertet wird wie die allgemeine Lohnentwicklung. Angesichts der anhaltend hohen Inflationsrate führt das tatsächlich zu einer Verzerrung, weil es bei den Löhnen und Gehältern zu einer ähnlich guten Kompensation der allgemeinen Preisentwicklung nicht gekommen ist.
Alle jüngeren Tarifabschlüsse bleiben deutlich dahinter zurück. Sollte die hohe Inflation noch über mehrere Jahre anhalten, könnte hier ein nicht unerhebliches Ungleichgewicht entstehen, weil die Regelsätze für das Bürgergeld durch diesen Mechanismus deutlich schneller steigen würden als Löhne und Gehälter, die immer wieder in Tarifverhandlungen neu ausgehandelt werden müssen.

Sanktionen gibt es weiterhin

Da kommt die Ampelkoalition nicht daran vorbei, diesen Mechanismus im Auge zu behalten, um ungewollte Schieflagen zu vermeiden. Die Union ist jedoch wieder einmal schnell bei der Hand, Sanktionen für Arbeitsunwillige zu fordern und übersieht bewusst, dass die steigenden Regelsätze ja nur eine Seite der Medaille sind.
Daneben steht ja die Eingliederungsvereinbarung, die alle Bürgergeldbezieher mit den jeweiligen Jobcentern eingehen müssen und deren Ziel es ist, möglichst schnell wieder eine Beschäftigung zu finden. Das auch ganz gezielt mit der Hilfe von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Und darin sind auch weitere Sanktionen vorgesehen, sofern sich die Arbeitslosen nicht aktiv beteiligen.

Staatliches Versagen bei der Bildung

Angesichts der vielen offen Stellen, angesichts des wachsenden Bedarfs sollte das Problem, abgesehen von konjunkturellen Schwankungen bei der Arbeitslosigkeit, eigentlich zu lösen sein. Aber die Jobcenter sind auch kein Reparaturbetrieb für das staatliche Versagen an anderer Stelle.
Wenn pro Jahr gut 50.000 Jugendliche die Schulen ohne einen Abschluss verlassen, wenn grundlegende Sprach- und andere Fähigkeiten fehlen, dann sind auch die Möglichkeiten der Jobcenter begrenzt, weil man mit erheblichem Aufwand nachholen muss, was an anderer Stelle versäumt wurde.
Insofern ist es eine müßige Debatte, wenn es der Union jetzt wieder um die Höhe der Transferleistungen und mögliche Sanktionen geht. Das Bürgergeld muss hinreichend sein, um den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Da gibt es kein Vertun.
Die eigentliche politische Aufgabe besteht aber darin, dafür zu sorgen, dass angesichts der steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften die Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten erst gar nicht in die Lage kommen, Bürgergeld beantragen zu müssen, weil sie langzeitarbeitslos geworden sind. Das aber wurde seit Langem versäumt. Und jüngste Studien haben gezeigt, dass diese schulischen Probleme sogar noch zunehmen. Das zu ändern, darin liegt die eigentliche politische Aufgabe.