Jetzt ist es aber auch mal gut – mit dieser Ost-West-Debatte. In der Tat: Es mag nach 33 Jahren ermüdend sein, wieder und wieder über die Unterschiede zwischen Ost und West zu diskutieren. Dabei ist doch alles fein zwischen Ostsee und Harz. Chipfabriken entstehen. Städte wie Erfurt und Leipzig florieren. Auf den Straßen rollt es sich prima und die Marktplätze sind herausgeputzt.
Dieser Schluss mag naheliegen, wenn man als Thüringer ein hohes Amt in Erfurt bekleidet. Oder wenn eine Brandenburgerin ein gutes Gehalt im Rheinland bekommt. Aber diese positive Erzählung ist eben nur eine. Die anderen Erzählungen nicht zu hören, grenzt an Realitätsverweigerung. Und das ist fatal.
Es ist eben nicht alles gut: Die wirtschaftlichen Unterschiede sind vielfach dokumentiert worden. Unterschiede bei der Arbeitszeit und beim Einkommen. Große Differenzen bei Vermögen und Erbschaften. Das lässt sich nicht einfach wegwischen – auch nicht mit dem Hinweis, dass die Lebenshaltungskosten ja angeblich viel geringer seien im Osten.
Es gibt noch immer westlich geprägte Führungsetagen, die auch kein ostdeutscher Bundespräsident a. D. oder eine ostdeutsche Altkanzlerin wettmachen können. Hochschulen, Politik, Medien – diverser werden heißt auch ostdeutscher werden. Nur erste Schritte sind bisher gemacht.
Einfache Antworten versöhnen nicht
Wer diese Unterschiede und auch Klagen nicht anerkennt und aushält, überlässt das Feld jenen, die undifferenzierte und einfache Antworten liefern. Wie etwa der Bestsellerautor Dirk Oschmann. Der Leipziger Literaturprofessor streichelt die vermeintlich geschundene ostdeutsche Seele und zeigt auf den Westen, der eh an allem schuld ist. Damit versöhnt er nicht, er spaltet.
Man überlässt das Feld auch der AfD, die nicht nur für Rechtsextreme wählbar ist, sondern die sich auch als Zuhörerin gibt – sich auf kommunaler Ebene zeigt, die da ist.
Nicht poltern, sondern vermitteln
Nur: Echte Lösungen haben sie nicht im Gepäck. Aber sie hören eben zu. Und genau das sollten auch andere tun. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider macht das – wenn er durch Sachsen und Co. reist. Auch Ministerpräsidenten wie Michael Kretschmer hören zu. Was sie jedoch kaum schaffen: Dass sie ausreichend Gehör finden – auch im Westen des Landes. Kretschmer gilt nicht zu Unrecht als Querschläger innerhalb der CDU. Als vielleicht auch wertvolle ostdeutsche Stimme wird er kaum gesehen. Nicht poltern, sondern vermitteln.
Und noch ein Vorschlag: Der Ostbeauftragte könnte mit seinen Themen auch nach Stuttgart oder Kiel reisen. Denn es gibt viel zu besprechen – und das betrifft das ganze Land.
Fremdeln mit der Demokratie
Mehr Ostdeutsche als Westdeutsche fremdeln mit der Demokratie. Der Antiamerikanismus ist verbreiteter. Woher kommt das? Wie diskutieren Ostdeutsche, jung und alt, untereinander darüber?
Die Nähe zu Russland ist ausgeprägter als im Westen – was heißt das eigentlich genau, Nähe zu Russland? Ist man für diesen Krieg? Ist er einem egal? Und ist es verwerflich, sich nach Hoffnung für Russland zu sehnen, auch wenn es einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt? Und andererseits: Warum fühlt man eine Nähe zu einem Land, dessen Herrscher imperiale Phantasien hegt, die auch das Gebiet der ehemaligen DDR miteinschließen könnten?
Der Osten kann Transformation
Die AfD ist im Osten erfolgreicher als im Westen – auch weil rechtsextremes Gedankengut in den 1990er-Jahren unter den Teppich gekehrt wurde. Auch von konservativer Seite. Hier gibt es viel zu besprechen, aber bitte so, dass es der AfD nicht in die Hände spielt.
Und: Der Osten kann Transformation, weiß, wie schnell sich Lebensläufe anpassen müssen. Das ist auch eine Erfahrung, die es zu heben gilt. Denn Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen.
Nein, wir sind noch lange nicht fertig mit dieser deutsch-deutschen Geschichte. Und die ist eine gemeinsame Aufgabe – für Ost wie West. Ohne Schubladendenken, ohne Beschönigen, ohne Polarisierung – wir alle sollten dieses Projekt gestalten. Und genau das ist das Verbindende.