Herzlichen Glückwunsch DFB! Niemand löst hierzulande Emotionen aus, wie der deutsche Fußball. Das Auto sei der Deutschen liebstes Kind, heißt es immer. Die Nationalelf dürfte noch heißer diskutiert werden. Vor einigen Monaten zu sehen, als der ankündigte Ausrüsterwechsel, weg von adidas, selbst von höchsten Regierungskreisen kommentiert wurde. Oder als das neue pinke Trikot die Kommentarspalten heiß laufen ließ.
Und jetzt? Das Land elektrisiert bei einer eher trockenen Nachricht, nämlich der Frage: Wer ist dabei im EM-Team? Das ist dank perfekt orchestrierter PR-Strategie seit fast einer Woche in vielen Familien und Büros das große Gesprächsthema. Seit fünf Tagen hält der DFB sich selbst und das anstehende Turnier in den Schlagzeilen. Vom Pflege-Influencer über den Döner-Verkäufer bis hin zum Musikstar. Alle waren beteiligt bei diesem zum Teil skurrilen Social-Media-Feuerwerk. Sogar die Tagesschau.
Wo die Instagram-Stars und der DFB sich gegenseitig in ihrer Reichweite vergrößern, überschreitet man bei Deutschlands wichtigster Nachrichtensendung eine Grenze. Als Teil einer DFB-PR-Aktion lässt sie sich sprichwörtlich vor den Karren spannen. Man präsentiert, scheinbar exklusiv, einen der Namen des vorläufigen Kaders. Gleichzeitig verleiht man damit aber einer Marketing-Kampagne das Gewicht der Glaubwürdigkeit. Ohne Auftakt in den Hauptnachrichten wäre die ganze Aktion womöglich anders verlaufen.
Kaum Überraschungen im Kader
Zur Wahrheit gehört auch dazu, die allermeisten der seit Sonntag bekannt gewordenen Namen sind keine Überraschung. Dass Kapitän Ilkay Gündogan zum Team gehört, wusste man auch ohne Plakataktion am Berliner Alexanderplatz. Und die Dachdecker-Influencerin – zum ersten Mal gelernt, dass es so etwas überhaupt gibt – hat mit Manuel Neuer vieles, aber keine News verbreitet.
Der DFB wollte mit der Aktion das Durchstechen von Namen verhindern und hat es fast geschafft. Sky und Bild wussten dennoch zu berichten, dass Mats Hummels und Leon Goretzka im Kader fehlen, eine für viele spannendere Nachricht als die erwartbare Berufung von Abwehrchef Antonio Rüdiger.
Der Erfolg gibt dem Verband Recht
Dennoch, beim DFB kann und wird man feiern. Der Erfolg, die kaum zählbaren positiven Reaktionen auf die Aktion, geben dem Verband Recht. Noch dazu, weil Berufe und gesellschaftliche Gruppen, die sonst nicht so im Flutlicht stehen wie die Fußballer, ein Stück von der großen Aufmerksamkeit abbekommen haben.
Sportlich gibt es keine Sensation. Der EM-Kader ist quasi identisch mit dem Team, das im März in Frankreich und gegen die Niederlande gewann. Bundestrainer Julian Nagelsmann geht damit ein Risiko ein, weil viele Spieler noch nicht die ganz große Erfahrung besitzen. 10 der 27 im Team haben erst fünf oder weniger Länderspiele. Trotzdem tut er gut daran, seinen Weg weiterzugehen, das Team nach seinen Vorstellungen von System aber auch Charakter zusammenzubauen.
Die Euphorie ist bei vielen Fans geweckt, trotz so vieler dürftiger Leistungen in den letzten Jahren. In vier Wochen wartet beim EM-Auftakt in München Schottland. Ob es danach dann auch wieder „Herzlichen Glückwunsch, DFB“ heißen wird?