
Spätestens jetzt weiß die Ukraine – ja, weiß die ganze Welt – mit wem sie es im Weißen Haus zu tun hat. Europa sollte daher genau hinschauen, denn das, was Selenskyj gestern passiert ist, kann so jedem europäischen Staats- und Regierungschef widerfahren.
Die Auseinandersetzung zwischen Selenskyj, Trump und Vance war keine spontane, irgendwie aus dem Ruder gelaufene Pressekonferenz. Es war eine orchestrierte Demütigung, ein Hinterhalt, in den der ukrainische Präsident – emotional wie er ist – getappt ist. Denn es ist vor allem Trumps Vize JD Vance, der Wolodymyr Selenskyj maßregelt wie einen kleinen Schuljungen. So etwas passiert nicht spontan – zumindest nicht einem JD Vance.
Nun wird sich Selenskyj Fragen gefallen lassen müssen, ob sein Verhalten klug war. Er wird sich fragen lassen müssen, ob die ganze Reise nach Washington klug war. Doch Kritik an Selenskyj geht am Kern des Problems vorbei. Denn der Eklat im Weißen Haus war so katastrophal wie erhellend zugleich. Und er betrifft nicht nur die Ukraine, sondern Gesamteuropa.
Mafia-Methoden der amerikanischen Führung
Klarer als je zuvor ist nun eines: Die amerikanische Führung unter Trump ist bereit, selbst ihre Verbündeten zu erpressen – und das mit Mafia-Methoden. Wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann lasse ich dich fallen.
Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgefälle werden von Trump systematisch und brutal ausgenutzt. Empathie und Wertvorstellungen spielen keine Rolle. Trump interessiert sich weder für die Ukraine noch für Europa. Dieser Realität muss sich Europa stellen und entsprechend handeln. Alles andere wäre fahrlässig.
Für die Ukraine kann Trumps Präsidentschaft katastrophale Folgen haben. Das Land muss damit rechnen, dass die USA keine Hilfe mehr leisten. Kein Geld, keine Waffen, keine humanitäre Hilfe, keine Geheimdienstinformationen.
Investitionen und Mentalitätswandel sind nötig
Aber auch Europa muss damit rechnen. Ohne die USA ist Europa bisher militärisch zu schlecht aufgestellt gegen Russlands Armee, ohne US-Geheimdienstinformationen nahezu aufgeschmissen. Das muss sich ändern mit großen Investitionen und einem Mentalitätswandel. Bis dahin muss Zeit gewonnen werden. Also gilt es, um Trumps Gunst zu buhlen. Sein Ego streicheln, von dem er mehr geleitet wird als von Wertvorstellungen oder dem Völkerrecht.
Europa darf nicht noch einmal den Fehler machen, den es mit Putin gemacht hat, der genauso offen und klar über seine Ziele aufgeklärt hat – nämlich die Vernichtung der Ukraine. Trump ist das Schicksal Europas egal. Das wissen wir jetzt. Die Frage ist nur: Wie viel Zeit bleibt Europa noch?
Das kann niemand beantworten. Daher muss jetzt jede Minute genutzt werden, in die eigenen Sicherheit und Unabhängigkeit zu investieren. Die Alternative wäre Unterwerfung gegenüber China, Russland oder den USA unter Trump.