Wie mächtig ist Vladimir Putin noch? Er beansprucht die Kontrolle über Nachbarstaaten, doch seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine kann er nur noch mit Hilfe tausender nordkoreanischer Soldaten führen. Waffen muss er sich im Iran, in China und auch in Nordkorea besorgen. Und nun hat Aserbaidschan Putin dazu gebracht, zum Telefonhörer zu greifen und so etwas wie eine Entschuldigung vorzutragen, wenn auch nur für den „tragischen Vorfall im russischen Luftraum“, wie es in einer Mitteilung des Kremls heißt.
Für jemanden wie Putin, der anrufen lässt und auf die Macht des Stärkeren setzt, ist das ein bemerkenswertes Zeichen von Schwäche. Bei dem mutmaßlichen Abschuss der aserbaidschanischen Passagiermaschine mit 67 Menschen an Bord über Russland weist vieles darauf hin, dass eine russische Bodenluftrakete das Flugzeug beschädigt hat. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass die russische Flugabwehr elektronische Mittel eingesetzt und damit die Bordelektronik des Zivilflugzeugs gestört hat.
Aserbaidjan hat Druck aufgebaut
Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev war, als das Unglück geschah, auf dem Weg zu einem Treffen der Eurasischen Wirtschaftsunion in St. Petersburg. Er machte umgehend kehrt und ließ den dort wartenden Putin einfach mal stehen. Und Aserbaidjan baute Druck auf.
Der Transportminister sprach offen von äußerer Einmischung und einer Waffe, die zum Absturz des Flugzeugs geführt habe. Ein Abgeordneter des aserbaidschanischen Parlaments forderte umgehend eine Entschuldigung der russischen Seite. Die Täter müssten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Es war die erste offizielle Reaktion aus Baku und in dem diktatorisch regierten Land muss man davon ausgehen, dass sie mit der Staatsführung abgesprochen war. Der Abgeordnete setzte noch eine Spitze gegen die russische Führung obendrauf. Russland sei dabei, in den Medien Spuren zu verwischen. Tatsächlich sprach die russische Flugaufsicht reflexartig von einem Vogelschwarm, in den die Maschine geraten sei.
Das Ganze erinnert an den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine mit einer russischen Flugabwehrrakete über dem Donbass 2014. Russland verweigerte jede Kooperation mit internationalen Ermittlern und streitet bis heute jede Verantwortung für die 298 Toten ab. Es hat Jahre gedauert bis ein niederländisches Gericht drei Männer für schuldig befand und zu lebenslanger Haft verurteilte. Die drei werden in Russland vermutet und traten die Haft nie an.
Ein brandgefährliches Regime in die Schranken weisen
Noch sind Zweifel angebracht, ob es diesmal anders wird. Laut Kreml arbeiten russische, aserbaidschanische und kasachische Behörden nun eng zusammen. Putin hat Lüge und Gewalt zum Prinzip erhoben. Es ist deshalb gut möglich, dass die russischen Behörden bei der Aufklärung allenfalls so tun, als würden sie kooperieren.
Eines ist ohnehin klar: Wenn Aserbaidschan darauf besteht, Russland für den mutmaßlichen Abschuss des Flugzeugs zur Verantwortung zu ziehen, hat das nichts mit der Suche nach Recht zu tun. Das Aliyev-Regime hat selbst kein Problem damit, Recht zu brechen, bei der Vertreibung der Karabach-Armenier zum Beispiel oder in dem es seine Kritiker verfolgt. Auch konnte der Kriegsverbrecher Wladimir Putin im August unbehelligt Baku besuchen.
Nein, es geht Aliyev nicht Gerechtigkeit, es geht darum, Stärke zu demonstrieren gegenüber Putin. Denn unter Autokraten und Diktatoren gilt, wer schwach ist, dem droht die Unterwerfung. Jetzt hat Putin Schwäche gezeigt und Aliyev Stärke. Umso wichtiger ist es, dass die Staaten, denen es um Recht geht, Putins Schwäche erkennen und sie zu nutzen, um dieses brandgefährliche Regime in die Schranken zu weisen.