Kommentar zu Extremismus
Verfassungschutzbericht: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Extremisten aller Art bedrohen Deutschlands Sicherheit - so steht es im neuen Verfassungsschutzbericht. Eine Behörde allein wird uns davor nicht schützen. Diese extremistischen Tendenzen einzudämmen ist eine Aufgabe für alle, meint Luise Sammann.

Ein Kommentar von Luise Sammann | 18.06.2024
Pressekonferenz Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2023 mit Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz BfV in der BPK Berlin.
Im Dienste der Sicherheit: Bundesinnenministerin Faeser und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang (IMAGO / Bernd Elmenthaler / IMAGO / Bernd Elmenthaler)
Düster, beängstigend, alarmierend… Alle Jahre wieder sind es vor allem negative Attribute, die die Veröffentlichung des neuen Verfassungsschutzberichts begleiten. Auch diesmal wieder. Zurecht. Von einem massiven Anstieg antisemitischer Straftaten ist in der neuesten 400-Seiten starken Version zu lesen. Vor allem im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Nahostkonflikts: Die Zahl politisch motivierter extremistischer Straftaten im Bereich „religiöse Ideologie“ hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht.
Auch rechtsextremistische Straftaten nahmen deutlich zu, fremdenfeindliche Straftaten von rechts gar um 39 Prozent. Der Anstieg bei links gerichteten Gewalttaten gegen Polizei oder Sicherheitsbehörden: knapp zwei Drittel. Ja, die Ergebnisse des Verfassungsschutzberichts 2023 sind und bleiben beängstigend für alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Land.

Erwartbare Entwicklung

Wirklich überraschen dürften sie allerdings niemanden. Denn dass die Bedrohung wächst, muss allen klar gewesen sein, die in den vergangenen Monaten die Nachrichten verfolgt oder auch nur im öffentlichen Raum Augen und Ohren aufgemacht haben. Wenn eine Bundesbehörde das jetzt noch einmal schwarz auf weiß darlegt, sollte das deswegen auch niemandem ein Gefühl von Sicherheit geben. Nach dem Motto: Immerhin hat es ja jemand im Blick.
Denn, wie bedingt verlässlich gerade der Verfassungsschutz war und ist, hat sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt. Nur ein Beispiel ist der Fall des heutigen linken Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der jahrelang unter Beobachtung stand. Zu Unrecht, wie das Bundesverfassungsgericht 2013 schließlich feststellte.
Unvermeidbare Kollateralschäden beim Schutz der Demokratie meinen diejenigen, die weiter uneingeschränkt an das angebliche Frühwarnsystem der Republik glauben und dabei auch offensichtliche Zeichen seines Versagens ignorieren. Wie zum Beispiel konnte der NSU jahrelang mordend durch dieses Land ziehen? Wo waren damals die Verfassungsschützer? Bis heute ist ihre Rolle nicht geklärt.

Aufgabe für die Gesellschaft

Natürlich ließen sich dem gegenüber auch zahlreiche andere Beispiele nennen, in denen Überwachen, Abhören und Mitlesen sehr wohl gewirkt und auch geschützt haben. Nur, zu glauben, dass der Verfassungsschutz allein unsere Demokratie retten wird, ist eben ein Irrtum, den sich gerade in Zeiten so vielfältiger Bedrohungen niemand leisten kann.
Der enorm gewachsene Haushalt der Behörde ist damit durchaus in Frage zu stellen. Zumindest dann, wenn ihm gleichzeitig Kürzungen in den Bereichen Politische Bildung und Jugendarbeit entgegenstehen. Gegen antidemokratische Tendenzen vorzugehen ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe. Kein noch so starker Verfassungsschutz wird Gesellschaft und Politik diese Verantwortung abnehmen können.