Das ist eine Wendung, mit der kaum jemand gerechnet hatte. Franziska Giffey, die machtbewusste Berliner SPD-Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeisterin, geht freiwillig in die zweite Reihe. Sie lässt dem Wahlsieger von der CDU Kai Wegner den Vortritt, wäre tatsächlich bereit, ihr Amt als Regierungschefin abzugeben.
Koalition mit Linken und Grünen wäre kein Aufbruchsignal
Das Kalkül dabei ist klar: Zum einen signalisiert sie damit den Berlinerinnen und Berlinern: „Ich habe verstanden.“ Hat doch die Hauptstadt-SPD mit Giffey an der Spitze bei der Wiederholungswahl vor zweieinhalb Wochen ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Es war die Quittung unter anderem für die Chaos-Wahl im September 21, die ohne personelle Konsequenzen blieb. Hätte Giffey die Koalition mit Linken und Grünen fortgesetzt, es wäre eine Koalition der Verliererinnen geworden – und damit kein Aufbruchsignal, sondern ein „Weiter so.“
Zweitens: Franziska Giffey steht der CDU politisch viel näher als Grünen und Linken. Eine schwarz-rote Koalition würde mehrere Probleme auf einen Schlag lösen. Keine Debatte mehr über eine Enteignung von großen Wohnungsbauunternehmen. Genau wie die CDU ist Giffey strikt dagegen, hatte das Thema im Wahlkampf sogar zur Gewissensentscheidung gemacht. Auch in der Verkehrspolitik ist man sich einig: Kein Vorrang mehr für Radfahrer und Fußgänger, stattdessen wieder freie Fahrt und Parkplätze umsonst für alle Autofahrer - da entfallen lästige Debatten mit den Grünen. Und beim Thema Innere Sicherheit bremsen keine Linken mehr, wenn es um die Anschaffung von Tasern und Bodycams für Polizeikräfte und Feuerwehr geht.
Drittens: als Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters hat Giffey immer noch eine Gestaltungsmacht. Sie kann sich eine Senatsverwaltung aussuchen, sich ein Superressort zusammenstellen, das auf sie zugeschnitten ist. Von dieser Position aus kann sie in den nächsten dreieinhalb Jahren – so kurz ist die Legislaturperiode wegen der Wiederholungswahl – Atem holen und dann bei der nächsten Wahl im Herbst ´26 wieder als SPD-Spitzenkandidatin antreten. Dann ist sie 48 Jahre alt.
Politische Karriere steht auf dem Spiel
Und doch: Mit einer Empfehlung für die CDU, die sie mit ihrem persönlichen Schicksal verknüpft, setzt Franziska Giffey alles auf eine Karte. Sollte die notorisch links stehende Berliner SPD ihrem CDU-Kurs nicht folgen, ist es mit der politischen Karriere der Sozialdemokratin vorbei. Dann hat sie in wenigen Jahren fast alles verloren – den Doktortitel, das Amt der Bundesfamilienministerin, den Posten als Berliner SPD-Landesvorsitzende und den Chefinnen-Sessel im Roten Rathaus.