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Kommentar zu den Grünen
Nur einen Fehler zugeben, reicht nicht

Die Grünen inszenieren sich gerne als Partei mit positiver Fehlerkultur, meint Helene Bubrowski. Die Parteispitze mache es sich aber zu leicht, wenn sie Kritik an der „Trauzeugen-Affäre“ um Patrick Graichen abtue und die Sache für erledigt erkläre.

Ein Kommentar von Helene Bubrowski (Frankfurter Allgemeine Zeitung) | 06.05.2023
Robert Habeck und Patrick Graichen. Zwei Männer sind umringt von Menschen mit einer Kamera.
Robert Habeck und Patrick Graichen in der Bundespressekonferenz: Zu einer guten Fehlerkultur gehöre es auch, sich selbst Fragen zu stellen, meint Helene Bubrowski. (picture alliance / AP / Markus Schreiber)
Eins muss man Robert Habeck lassen: Er hat schnell reagiert. Es hat es als Fehler benannt, dass sein Staatssekretär Patrick Graichen in der Kommission saß, die den neuen Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur ausgesucht hat. Denn der Mann, der den Job bekommen sollte, ist Graichens Trauzeuge. Habeck hat außerdem dafür gesorgt, dass das Verfahren noch einmal aufgerollt wird.
Doch es bleiben Fragen. Wie kann es sein, dass Graichen erst so spät bemerkt hat, dass das nicht geht? Trauzeuge, das ist nicht irgendein Bekannter, da ist die Freundschaft offiziell beurkundet. Und wie halten die Grünen es in den eigenen Reihen mit den strengen Maßstäben, die sie an politische Gegner anlegen? Stichwort Schwarzer Filz.
Die Grünen inszenieren sich gerne als die perfekten Fehlerkulturschaffenden, aber zu einer guten Fehlerkultur gehört es, sich jetzt auch diesen Fragen zu stellen. Das haben die Grünen bisher nicht getan. Stattdessen erklären sie die Debatte einseitig für beendet und verschanzen sich.

Eine Steilvorlage für die Opposition

Natürlich ist der Fall Graichen für die Opposition eine Steilvorlage. Natürlich fordert die CDU die Entlassung Graichens, und natürlich spricht die AfD von „Clanstrukturen“ im Bundeswirtschaftsministerium. Aber das macht noch nicht jede Kritik zur Kampagne, wie Jürgen Trittin nun im Deutschlandfunk behauptet hat. Damit machen es sich die Grünen zu leicht.
Das haben sie schon einmal getan, im Bundestagswahlkampf, als der Plagiatsverdacht gegen Annalena Baerbock aufkam. Auch damals war Trittin der Mann fürs Grobe, sprach von einer „Dreckskampagne“ gegen Baerbock. Am Ende kam raus, dass in ihrem 240 Seiten langen Buch 100 Stellen plagiiert waren. Es ist den Grünen damals nicht gut bekommen. Aus Fehlern lernen, heißt auch, denselben Fehler nicht noch einmal zu machen. 

Grüne Beziehungsgeflechte

Durch den Fall Graichen erscheint auch das Beziehungsgeflecht zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Umweltorganisationen in einem anderen Licht. Graichen hat eine Schwester und einen Bruder, die beide für das Öko-Institut arbeiten, das seit Langem Aufträge des Wirtschaftsministeriums erhält.
Seine Schwester ist zudem verheiratet mit Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Dass Menschen, die sich für Ökologie interessieren, sich kennen, sich verlieben, heiraten – das ist kein Skandal, das ist normal.
Und zugleich ist besondere Sensibilität gefragt, wenn es um Jobs geht und sich Persönliches und Professionelles vermischt. Befangenheit fängt nicht erst da an, wo falsche Entscheidungen getroffen werden, sondern weit vorher. Es reicht, wenn ein Grund gegeben ist, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit einer Person zu erregen.
Bei Geschwistern und Ehepartnern ist das der Fall. Deshalb sind im Wirtschaftsministerium Regeln eingeführt worden, um Interessenkonflikte zu unterbinden: Patrick Graichen, der Staatssekretär, durfte bei Vergabe von Aufträgen an das Öko-Institut, wo seine Geschwister arbeiten, nicht mitentscheiden.
Es ist nicht bekannt, dass hier irgendwas nicht blitzsauber gelaufen wäre. Und die Qualifikation der Mitglieder der Familie Graichen steht außer Frage. Und trotzdem: Durch die Trauzeugen-Affäre ist das Misstrauen in der Welt, ob hier alles seine Richtigkeit hat.

Affäre kommt zur Unzeit

Für Habeck kommt die ganze Sache zur Unzeit. Es war sowieso schon schwer. Zwar ist Deutschland gut durch den Winter gekommen, kein Versorgungsengpass, keine Insolvenzwelle. Das ist auch Habecks Verdienst. Aber die Grünen stehen in Umfragen trotzdem bei 14 Prozent. Das liegt auch am ständigen Streit in der Ampel.
Zusätzlichen Unmut hat Habeck mit dem Heizungsgesetz auf sich gezogen: Ab dem kommenden Jahr sollen neue Öl- und Gasheizungen verboten werden, das löst bei vielen Menschen Ängste auf. Und der Grüne, der eigentlich so sprechen kann, dass die Leute ihn verstehen, hat hier als Kommunikator versagt.
Eine Hoffnung bleibt den Grünen: Sonst ging es immer kurz vor der Wahl steil bergab, nun schon mitten in der Legislatur. Aber es gibt keinen Automatismus, dass die Kurve wieder ansteigt. Der Weg nach oben ist steinig. Vertrauen ist schnell zerstört. Und mit dem Getöse von „Kampagne“ kann man es gewiss nicht zurückgewinnen.