Kommentar
Joe Biden missachtet den Rechtsstaat

Joe Biden hat seinen Sohn Hunter begnadigt, dem wegen Steuervergehen eine Haftstrafe drohte. Damit stellt der scheidende US-Präsident seine persönlichen Gefühle auf spektakuläre Weise über den Rechtsstaat - und hilft Donald Trump.

Von Doris Simon |
Hunter Biden trägt eine Sonnenbrille und blickt zu seinem Vater Joe Biden.
Vorbildfunktion beschädigt: US-Präsident Joe Biden und sein Sohn Hunter. (picture alliance / dpa / abaca)
Was kümmert mich mein Geschwätz vom Rechtsstaat, wenn es um meine eigene Familie geht? Ganz so einfach dürfte es sich Joe Biden nicht gemacht haben. Aber genau so kommt die Begnadigung seines Sohns Hunter bei vielen US-Bürgern an.
Millionen Amerikaner - von der Professorin bis zum Arbeiter - betrachten ihren Staat und das Justizsystem in den USA als „broken“, als kaputt. Auch deshalb hat Joe Biden seine Präsidentschaft immer zum Modell der Rechtsstaatlichkeit machen wollen. Aus Überzeugung, und als demonstrativen Akt, nach vier Trump-Jahren im Weißen Haus und einem Umsturzversuch. Aber alle Prinzipien haben nur dann eine Chance, Zweifler zu überzeugen, wenn diejenigen, die sie propagieren, sich auch an sie halten. So long, Joe.
Alle US-Präsidenten dürfen auf Bundesebene begnadigen, wen sie wollen. Aber Biden hat seinem Sohn nicht nur vorab die drohende Haftstrafe von bis zu 17 Jahren für Steuerhinterziehung und falsche Angaben beim Waffenkauf erlassen. Hunter Biden kann von der US-Justiz auch in Zukunft nicht verfolgt werden für mögliche Straftaten in den letzten elf Jahren. Eine Begnadigung dieses Ausmaßes hat es seit Präsident Fords vorbeugender Begnadigung für seinen Amtsvorgänger Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre nicht gegeben.

Die Begnadigung spielt Trump in die Hände

US-Präsident Biden hat seine persönlichen Gefühle über das Ansehen des Rechtsstaates gestellt und ihn damit auf spektakuläre Weise missachtet. Nichts spielt Donald Trump und seinem falschen Mantra, er werde von der US-Justiz zu Unrecht verfolgt, so sehr in die Hände wie dieser Akt.
Was nicht bedeutet, dass Biden auch nicht anders ist als Trump. Joe Biden hat die Missachtung von Gesetzen und die Verachtung der Justiz nie zum Prinzip seines beruflichen und politischen Lebens gemacht. Und kein gewählter US-Präsident droht so mit Rache und Vergeltung wie Donald Trump.

Hunter Biden: Zielscheibe der Republikaner

Joe Biden hat darunter gelitten, dass sein Sohn Hunter mit seiner problematischen Vergangenheit und seinen Verfahren von Trump und seinen Verbündeten jahrelang als Zielscheibe benutzt wurde, um ihn zu beschädigen. Aber Biden war bewusst, welche fatale Wirkung jegliche Einmischung bedeutet hätte für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit der US-Justiz.
Deshalb hat er bis zuletzt eine Begnadigung abgelehnt. Dass Biden sich nun kurz vor dem Ende seiner präsidentiellen Macht für seinen Sohn entschieden hat, hat sicher mit der Frage zu tun, die viele Menschen im letzten Viertel ihres Lebens umtreibt: Was ist wichtig?
Das Problem ist Bidens Amt. Seine Vorbildfunktion hat er komplett beschädigt mit der haltlosen Beschuldigung der US-Bundesjustiz, sie habe seinen Sohn aus politischen Gründen anders behandelt.
Auch Durchschnittsamerikaner werden wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Sie haben nur keinen Vater, der sie begnadigt.
Porträt von USA-Korrespondentin Doris Simon, 2024.
Doris Simon, geboren 1964 in Bonn, ist Deutschlandradio-Korrespondentin für die USA und Kanada. Nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München und einem Studium der Geschichte, Politik und Kommunikation arbeitete sie als freie Journalistin für Fernsehen und Hörfunk in Bonn und Berlin. Für RIAS Berlin und später Deutschlandradio berichtete sie als Korrespondentin aus Bonn und Brüssel, sie hat als CvD und in der Programmdirektion im Deutschlandfunk gearbeitet und war viele Jahre Moderatorin und Redakteurin der "Informationen am Morgen".