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Kommentar zur Industriepolitik
Chinesischer Weg der Ampel ist ein Wagnis

Die Ampelregierung versuche mit chinesischen Methoden dem drohenden wirtschaftlichen Bedeutungsverlust Deutschlands entgegenzuwirken, kommentiert Moritz Koch. Der Erfolg dieser Strategie sei ungewiss - weitermachen wie bisher aber keine Alternative.

Ein Kommentar von Moritz Koch (Handelsblatt) |
Symbolbild zum Thema Macht, Einfluss und Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und China
Deutschland und der Westen setze nun auf staatliche Eingriffe in die Wirtschaft wie China. Ein bemerkenswerter Rollentausch, meint "Handelsblatt"-Journalist Moritz Koch. (picture alliance / Zoonar / DesignIt)
Deutschlands goldene Jahre sind vorbei. Die jüngste Konjunkturprognose des Internationalen Währungsfonds zeigt eine neue Ausnahmestellung: Unter den G7-Staaten ist die Bundesrepublik die einzige Volkswirtschaft, die schrumpft. Aus dem Exportweltmeister ist ein Sorgenfall geworden. 
Mit dem Covid-Schock und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die Grundlagen für Deutschlands Erfolge als Exportnation weggebrochen. Der internationale Markt ist zum Spielfeld der Politik, die Welt protektionistischer geworden. Der Konflikt zwischen den USA und China verschärft diesen Trend weiter.
Gerade die deutsche Wirtschaft, die zu einem erheblichen Teil am Außenhandel hängt, trifft das stark. Die Bundesrepublik war Globalisierungsgewinner – und sie ist der große Verlierer, wenn nun eine Phase der Entglobalisierung eintritt.

Deutschland greift zu chinesischen Methoden

Wirtschaft und Politik sind daher gezwungen, ein neues deutsches Geschäftsmodell zu entwickeln. Die Ampel vertraut auf Industriepolitik: eine staatliche Förderung von Schlüsselbranchen und ein gezielter Abbau handelspolitischer „Verwundbarkeiten“. Um weniger abhängig von China zu werden, greift Deutschland zu chinesischen Methoden.
Beispiel Intel: Fast zehn Milliarden Euro erhält der US-Konzern für den Bau einer Chipfabrik in Magdeburg. Beispiel Rohstofffonds: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Erschließung von Bodenschätzen unterstützen, um die Abhängigkeit von chinesischen Mineralien zu verringern. Auch das Heizungsgesetz, das den Verbrauch von importiertem Erdgas drosseln soll, passt in diese Reihe.
Die Opposition übt scharfe Kritik. Die Spitzen der Union sprechen von Planwirtschaft. Richtig ist: Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft können schnell gefährlich werden. Die Erfahrungen sind bestenfalls durchwachsen. Das Risiko, dass Steuergeld in unwirtschaftlichen Projekten versickert, ist groß. Dennoch macht es sich die Union zu leicht.

Subventionen und Protektionismus liegen im Trend

Deutschland folgt einem globalen Trend – und Mahnungen aus Brüssel. Die EU-Kommission ruft die Mitgliedsstaaten auf, ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu verringern und dafür auch in Unternehmensentscheidungen hineinzuregieren. „Bestimmte Wirtschaftsströme und -aktivitäten“ könnten „ein Risiko für unsere Sicherheit darstellen“, schreibt die Behörde in ihrer kürzlich veröffentlichten Strategie zur Wirtschaftssicherheit.
Denn wer abhängig ist, macht sich erpressbar. Die Bundesregierung hat das im vergangenen Jahr erlebt, als Russland seine Gaslieferungen einstellte. Noch größer ist die Abhängigkeit von China. Rohstoffe, Solarzellen und Batterietechnologie aus der Volksrepublik können die Europäer bisher kaum ersetzen. Ohne China keine Energiewende – diese Sorge treibt Berlin und Brüssel um.
Die stärksten Gegenmaßnahmen haben allerdings die USA getroffen. Präsident Joe Biden hat mit den Überzeugungen gebrochen, die der US-Außen- und Wirtschaftspolitik seit Anfang der 1980er-Jahre zugrunde lagen.  Sein Sicherheitsberater Jake Sullivan spricht von einem „neuen Washingtoner Konsens“.
An die Stelle von Freihandel, Deregulierung und Ausgabendisziplin, dem ursprünglichen Washingtoner Konsens, ist eine Politik getreten, die sich in die Industrie einmischt, dem freien Markt Grenzen setzt, Unternehmensentscheidungen mit Subventionen lenkt und protektionistische Vorschriften nicht scheut. Kernstück des Biden-Programms: der „Inflation Reduction Act“, Amerikas XXL-Subventionspaket, das klimaneutrale Technologien fördert und ausländische Wettbewerber diskriminiert.

Der Westen übernimmt chinesisches Erfolgsrezept

Es ist ein bemerkenswerter Rollentausch: China hat in den 1990er-Jahren den Westen studiert, unternehmerische Freiheiten in sein autoritäres System integriert. Nun ist es der Westen, der chinesische Erfolgsrezepte übernimmt. Von einer Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen könnte man sprechen.
Die deutsche Politik kann den weltweit zunehmenden Protektionismus bedauern, sie kann vor einem schädlichen Subventionswettlauf warnen. Aber weder das eine noch das andere kann sie ändern. Das exportgetriebene Wohlstandsmodell der Bundesrepublik hing von Voraussetzungen ab, die sie selbst nicht aufrechterhalten konnte. Der regelbasierte Welthandel funktionierte nur so lange, wie die USA und China ein Interesse daran hatten. Diese Zeit ist vorbei.
Die industriepolitische Reaktion der Ampel ist ein Wagnis. Ihr Erfolg ist ungewiss. Aber weiter machen wie bisher und Regeln befolgen, die alle anderen brechen, ist keine Alternative.