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Kommentar zum Wahl-Urteil
Berlin braucht endlich wieder stabile demokratische Verhältnisse

Nach der Karlsruher Entscheidung über die Wahlwiederholung in Berlin bleibe es theoretisch denkbar, dass das Wahlergebnis nachträglich für ungültig erklärt werde, kommentiert Sebastian Engelbrecht. Damit habe alles wieder nur vorläufigen Charakter.

Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht | 31.01.2023
Wahlbenachrichtigung per Post zur Wiederholungswahl zum 19. Berliner Abgeordentenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung am 12.Feburar 2023. (Symbolfoto, Themenfoto)
Die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe bringt nun überflüssigerweise erneut Instabilität und Unsicherheit statt Rückkehr zu verlässlichen Verfahren, meint Sebastian Engelbrecht (picture alliance / Geisler-Fotopress / Sebastian Gabsch / Geisler-Fotopre)
Die Wahlen vom 26. September 2021 bedeuteten Schmach und Schande für das Land Berlin und dessen Senat. So offensichtlich, so peinlich, so bitter ist die Demokratie in Deutschland nach 1949 noch nie gescheitert. Lange Schlangen vor den Wahllokalen, falsche oder fehlende Stimmzettel, am Kopierer gebastelte Not-Stimmzettel, Stunden nach 18 Uhr noch geöffnete Wahllokale.
Nach diesem Desaster war das Urteil des Berliner Landesverfassungsgerichtshofs vom 16. November eine Rehabilitation der Demokratie. Das Gericht entschied, dass die Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksparlamente komplett wiederholt werden müsse. Erleichterung machte sich breit in Politik und Gesellschaft. Eine Wiederholungswahl, so die Hoffnung, würde den Schaden an der Demokratie beheben.

Erneut Instabilität und Unsicherheit

Der Berliner Landesverfassungsgerichtshof hat überzeugend dargelegt, warum die Wahl auf Landesebene als ganze wiederholt werden muss: Sie war mangelhaft vorbereitet. Tausende konnten ihre Stimmen nicht unbeeinflusst abgeben, weil die Hälfte aller Wahllokale flächendeckend noch nach 18 Uhr geöffnet war. Alle Wahlkreise waren von Wahlfehlern betroffen.
Dann kam im Dezember der Eilantrag von 42 Politikern und Wählern gegen den Beschluss des Landesverfassungsgerichts. Eine merkwürdige Koalition aus SPD-, FDP- und Linken-Politikern erhob Einspruch gegen die komplette Wahlwiederholung. Was sie verbindet, dürfte ihr jeweiliges politisches Eigeninteresse sein: Sie zogen vor das Verfassungsgericht, so steht zu befürchten, um die gewonnenen Mandate und Posten abzusichern. Sie hätten ihre persönlichen Interessen den kollektiven unterordnen und auf diese Klage verzichten müssen. Denn bei der Wiederholungswahl am 12. Februar geht es um die Wiederherstellung demokratischer Verlässlichkeit, um die Rückkehr vom Verwaltungschaos in ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen.
Die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe bringt nun überflüssigerweise erneut Instabilität und Unsicherheit statt Rückkehr zu verlässlichen Verfahren. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht den 42 Beschwerdeführern, die die Wiederholungswahl am 12. Februar noch aufhalten wollten, vorläufig eine Abfuhr erteilt. Zum Glück. Eine stabile Demokratie braucht klare und transparente Abläufe.

Alles hat wieder nur vorläufigen Charakter

Aber das Gericht hat zugleich angekündigt, es werde eine ausführliche Begründung der Entscheidung nachreichen. Bis dahin kann es Monate dauern. Es bleibt theoretisch denkbar, dass die Karlsruher Verfassungsrichter das Wahlergebnis vom 12. Februar nachträglich für ungültig erklären. Damit steht das künftige politische Verfahren in Berlin nun erneut unter Vorbehalt: Wahl, Koalitionsverhandlungen, Regierungsbildung – all das hat wieder nur vorläufigen Charakter. Bedauerlich. Denn Berlin braucht endlich wieder stabile demokratische Verhältnisse.