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Kommentar zum Nahostkonflikt
Zweistaatenlösung: Zeit für einen Weckruf

Mit der neuen israelischen Regierung und rechtsgerichteten Ministern wie Itamar Ben Gvir könnte ein souveräner Staat Palästina endgültig unmöglich werden, kommentiert Benjamin Hammer. Der Oslo-Friedensprozess sei so gut wie gescheitert.

Ein Kommentar von Benjamin Hammer |
Palästinenser versammeln sich vor der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zum Freitagsgebet am 6.1.2023
Ist mit der neuen Regierung in Israel das Ende des Staats Palästina besiegelt? Palästinenser versammeln sich vor der Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem (IMAGO / APAimages /)
Vor etwa einem Jahr veröffentlichte der Leiter der deutschen Vertretung in Ramallah ein Video. Der quasi Botschafter sprach davon, dass Deutschland den Palästinensern auf dem Weg zu ihrer Unabhängigkeit helfen werde. Der Diplomat betonte in dem Video Deutschlands Engagement für eine verhandelte Zweistaatenlösung. Es waren Bekundungen, wie sie seit Beginn des sogenannten Oslo-Friedensprozesses vor 30 Jahren kaum verändert zu hören sind. Im Video des Botschafters wurden sie von packender Musik untermalt.
Diese internationale Position zur Lösung des Nahostkonfliktes klingt sehr gut. Aber leider hat sie mit der Realität vor Ort nur noch wenig zu tun. Und es wäre gut, wenn die internationale Gemeinschaft dies endlich offen ausspricht.

Verantwortung auf beiden Seiten

Der Oslo-Friedensprozess ist so gut wie gescheitert. Dafür tragen beide Seiten eine Verantwortung – Israelis und Palästinenser.
Israels neue Regierung könnte jedoch dafür sorgen, dass ein souveräner Staat Palästina endgültig zu einem Ding der Unmöglichkeit wird. Rechtsextreme Minister wie Itamar Ben Gvir setzen nicht nur auf gezielte Provokationen auf dem Tempelberg. Sie sind erbitterte Gegner eines palästinensischen Staates. Auch deshalb will die Regierung Siedlungen tief im besetzten Westjordanland anerkennen, die bislang sogar nach israelischem Recht illegal sind.
Auch frühere israelische Regierungen haben mit dem Bau völkerrechtswidriger Siedlungen im Westjordanland sowie in Ost-Jerusalem Fakten geschaffen. Doch immerhin sprach etwa der frühere Premierminister Yair Lapid noch von einer möglichen Zweistaatenlösung. Zumindest für große Optimisten gab es noch etwas Hoffnung.

Israels Ansprüche in nie dagewesener Offenheit

Israels neue Regierung verdeutlicht ihren Anspruch hingegen in nie dagewesener Offenheit: Das jüdische Volk, heißt es in den Leitlinien der Regierung, habe ein exklusives Recht auf alle Gebiete von Eretz Israel. Gemeint ist auch das von Israel besetzte Westjordanland. Israels Premier Benjamin Netanjahu sagte vor wenigen Tagen: Das jüdische Volk könne sein eigenes Land doch gar nicht besetzen.

Die vielleicht wichtigste Frage beantwortet Netanjahu nicht: Was geschieht mit den Palästinensern in einem Israel, das vom Mittelmeer bis zum Jordan reicht? Bekommen sie die gleichen Rechte in einem Staat? Oder werden sie Bürger zweiter Klasse? Durch den Oslo-Prozess, in dem viele bis heute so tun, als sei ein palästinensischer Staat in Reichweite, konnte Israel seine Besatzung ausbauen, ohne diese zentralen Fragen beantworten zu müssen.
In diesem Jahr, 2023, könnte eine Zweistaatenlösung endgültig unmöglich werden. Zumindest ein Teil der neuen israelischen Regierung hat genau das vor. Die internationale Gemeinschaft muss deshalb eine deutliche Botschaft an Israels Regierung schicken: Ohne Perspektive auf einen palästinensischen Staat ist der Oslo-Prozess gescheitert. Die Konsequenzen hätten nicht nur die Palästinenser, sondern auch Israel zu tragen.

Große Unterstützung - wenig Perspektive

So erhalten die Palästinenser politische und finanzielle Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft. Es geht um mehrere Milliarden Euro pro Jahr -  auch für die in Teilen korrupte Führung der Palästinenser, die seit Jahren nicht mehr demokratisch legitimiert wurde. Das Geld ist daran geknüpft, dass es einmal einen palästinensischen Staat geben wird.  
Schon jetzt sehen viele darin eine indirekte Finanzierung der Besatzung. Ohne Perspektive auf ein souveränes Palästina müsste die Besatzungsmacht die Versorgung der Palästinenser übernehmen: Israel. Es ist an der Zeit, die israelische Regierung daran zu erinnern.

Mehrheit der Israelis für Zweistaatenlösung

Eine knappe Mehrheit der Israelis spricht sich weiterhin für eine Zweistaatenlösung aus. Unter ihnen sind ehemalige Anführer von Israels Armee und den Geheimdiensten. Denn nur mit einer Zweistaatenlösung kann Israel seinen Anspruch aufrechterhalten, jüdisch und demokratisch zu sein.
Seit Beginn des Oslo-Friedensprozesses schreitet der israelische Siedlungsbau kontinuierlich voran. Politiker wie Itamar Ben Gvir arbeiten seit Jahren daran, dass ein palästinensischer Staat unmöglich wird. Nun sind sie sogar Teil der Regierung. Die Zeit diplomatischer Zurückhaltung muss deshalb ein Ende haben.
Die beiden Konfliktparteien brauchen keine Ratschläge von außen, wie sie am besten Frieden schließen sollten. Angebracht wäre hingegen diese Botschaft: Die internationale Gemeinschaft ist nicht mehr lange bereit, die „Oslo“-Illusion mit aufrechtzuerhalten und mitzufinanzieren.
Benjamin Hammer
Benjamin Hammer wurde 1983 in Köln geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Köln und Dublin. Während des Studiums plante und begleitete er Studienreisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. Benjamin Hammer ist Absolvent der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Anschließend volontierte er bei der Deutschen Welle. Von 2011 bis 2017 war Benjamin Hammer Redakteur in der Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunks. Es folgten fünf Jahre als Korrespondent für die ARD und Deutschlandradio in Tel Aviv. Seit September 2022 arbeitet Hammer wieder in der Abteilung Wirtschaft und Gesellschaft des Deutschlandfunks.