Was tut Michael Kretschmer da? In einem großen Interview mit dem RND-Recherche-Netzwerk stellt er sich erneut öffentlichkeitswirksam gegen die Linie seiner Partei, der CDU. Er fordert unverblümt die Einstellung der westlichen Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine. Mit der Begründung, dass a) Kriege nicht auf dem Schlachtfeld, sondern nur am Verhandlungstisch beendet werden können, und b), dass Deutschland zunehmend angesichts der schwindenden Wirtschaftskraft die Mittel fehlen, um derartige Militärhilfe dauerhaft zu leisten. Offenbar bewusst nimmt der sächsische Ministerpräsident dabei in Kauf, wieder bundesweit und darüber hinaus im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen, als ostdeutscher Russlandfreund sowie als Wahlkampftaktierer bezeichnet und abgestempelt zu werden.
Kretschmer (CDU) klingt fast wie Sahra Wagenknecht
Wörtlich sagt er:“ Wir können nicht länger Mittel für Waffen an die Ukraine in die Hand nehmen, damit diese Waffen aufgebraucht werden und nichts bringen.“ Das klingt im ersten Moment wie die Diktion des BSW, des von der Linken abgespaltenen Bündnis Sahra Wagenknecht, das laut den aktuellen Umfragen auf einigen Zuspruch bei den kommenden drei ostdeutschen Landtagswahlen hoffen darf.
Parteichefin Wagenknecht hat potentielle Koalitionspartner bereits wissen lassen, dass Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit nach der Wahl grundsätzlich von der Haltung der Gewinner-Partei zur Ukrainefrage abhängen werde. Ist Kretschmers Äußerung also als wahltaktische Anbiederung an das BSW zu sehen? Nein, das greift zu kurz.
Kretschmer bleibt sich seit zwei Jahren selbst treu
Der Blick auf frühere Aussagen des sächsischen Regierungschefs zeigt deutlich, dass er sich – aller Kritik und Negativschlagzeilen zum Trotz - seit über zwei Jahren treu geblieben ist in seiner Forderung nach einer diplomatischen Lösung dieses auch für uns gefährlichen, militärischen Konflikts mitten in Europa. Sein Hauptargument ist dabei, dass die Bundesrepublik ohne entsprechende wirtschaftliche Kraft auf Dauer weder andere noch sich selbst würde militärisch verteidigen können.
Kretschmer ist kein klassischer „Russlandfreund“
Hinzu kommt: Sachsen hatte nach dem Mauerfall enge wirtschaftliche Verbindungen nach Russland, die durch die europäischen Sanktionen beendet wurden. Darüber hinaus gibt es viele familiäre Verknüpfungen, deutsch-russische Ehen und Familien aus DDR-Zeiten. Nicht zuletzt herrscht gerade in Ostdeutschland vielfach ein etwas anderes Bild der ehemaligen Moskauer Besatzungsmacht als im Westen der Republik. Und immer noch gibt es hier verbreitet großes Misstrauen gegenüber den USA bis hin zu ausgeprägtem Anti-Amerikanismus, allesamt Relikte des Kalten Krieges in Europa.
CDU-Wahlkämpfer Michael Kretschmer kennt durchaus diesen Teil der Wählerklientel, gleichwohl teilt er diese Strömungen nicht. Ob und wieviel Taktik und Kalkül hinter seinen jüngsten Forderungen liegen, bleibt sein Geheimnis.