Erfolg kann manchmal den Blick verstellen auf die tatsächlichen Zustände in einem Team. Die positive Wirkung und Freude über das Gelungene verdeckt die darunter liegende brüchige Substanz.
Bei der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft war der Finaleinzug bei der Europameisterschaft 2022 in England ein solches Ereignis, das zu mehr wurde als ein schöner sportlicher Erfolg. Der Vize-Europameistertitel hat dem Frauenfußball in Deutschland einen entscheidenden Schub gegeben. Er steigerte die Begeisterung, sorgte für immer vollere Stadien, für ein glanzvolles Image und eröffnete ganz neue Vermarktungsmöglichkeiten. Und das alles, während es bei den Männern bescheiden lief.
Vertragsverlängerung kam zu früh
Das hat offenbar dazu geführt, dass das DFB-Präsidium im Frühjahr sehr rasch über eine Vertragsverlängerung mit Martina Voss-Tecklenburg entschieden hat, ohne mal genauer hinein zu horchen, wie läuft es denn so?
Oder erst einmal abzuwarten, wie die WM ausgeht.
Was eine vorzeitige Verlängerung bewirken kann, ist, dass nichts mehr hinterfragt wird, was wohl besser hinterfragt worden wäre. Etwa die Auswahl des WM-Quartiers. Es hat für die Dynamik in einem Team einen großen Einfluss, ob sich der Ort für Teambuilding, gesunde Ablenkung und eine insgesamt Wohlfühl-Atmosphäre eignet oder Dissonanzen fördert oder gar hervorruft. Gegen schlechte Stimmung in einer Mannschaft lässt sich schwer antrainieren.
Obwohl das Thema bei der Männer-Nationalmannschaft oft genug aufgebracht wurde und es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen WM-Quartier und Erfolg gibt, bestand die Bundestrainerin auf das abgeschiedene Wyong.
Voss-Tecklenburg ohne sportliche Lösungen
Sportlich wurde im entscheidenden Spiel gegen Kolumbien deutlich, dass Martina Voss-Tecklenburg spielerisch keine Lösung hatte, auch nicht wie sie im Spiel danach darauf reagieren sollte. Die Spielerinnen wollten klare Anweisungen und Konzepte und bekamen sie offensichtlich nicht.
Der Faden zum Team war gerissen oder womöglich gar nicht gesponnen worden. Die glanzvollen Image-Filme hatten dem erstaunten Publikum bis dahin eine ganze andere Geschichte erzählt. Die aus der heutigen Perspektive, mit der maximalen Distanzierung von Team und nun Ex-Bundestrainerin befremdlich anmuten.
Und im Nachhinein auch die Frage aufwirft: War der Finaleinzug 2022 eigentlich wegen oder trotz Martina Voss-Tecklenburg?
Entfremdung wurde immer sichtbarer
Die Entfremdung von Trainerin und Team wurde immer sichtbarer, die Kommunikation immer skurriler. Ein Vortrag über Change Management von Voss-Tecklenburg auf dem bayrischen Zahnärztekongress, bevor sie sich mit der Mannschaft ausgesprochen hatte, ein merkwürdig anmutender Instagram-Post mitten in die Vorbereitung auf die wichtigen Nations-League-Spiele – es gab viele verstörte Fragezeichen bei den Spielerinnen und das Desaster nach dem Desaster.
Das alles zeigt deutlich – es wäre gut gewesen, genauer hinzuschauen und sich nicht von einem Erfolg blenden zu lassen. Der zwar die Leistungsfähigkeit des deutschen Frauenfußballs spiegelte, wohl aber nicht den Zustand des Teams.