Kommentar
Migrationspolitik: Debatte gerät in Schieflage

Seit dem Anschlag von Solingen diskutieren Politiker und Amtsträger wieder über Migration als Gefahr und Problem. Das zeigt, dass Deutschland nicht aus der Geschichte gelernt hat. Das Problem ist nicht Migration, sondern wie das Land damit umgeht.

Ein Kommentar von Luise Sammann |
Zwei Menschen halten einen Banner mit der Aufschrift "Kein Mensch ist illegal".
Nach dem Attentat in Solingen wird Migration einseitig als Problem diskutiert - wie so oft in der Geschichte. (IMAGO / Emmanuele Contini / IMAGO / Emmanuele Contini)
Seit dem Anschlag von Solingen und befeuert von den Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen diskutiert das Land über Abschiebungen, Obergrenzen, Rückführungen. Eine Zeitenwende fordert längst nicht mehr nur die CDU.
Wer der Debatte lauscht, bekommt – wieder einmal – den Eindruck: Migration per se sei ein Problem, wenn nicht gar das Problem. Dass dem nicht so ist, wird von Migrationswissenschaftlern, Soziologen, Historikern, aber auch Wirtschaftswissenschaftlern und Firmenchefs immer wieder bestätigt. Migration, sagen sie, gehört dazu. Migration ist für weite Teile dieser Gesellschaft selbstverständlich. Und sie ist – gerade auch für Deutschland – eine Chance.

Migrationsdebatte wird von rassistischem Gedankengut bestimmt

Mit den aktuellen oft populistisch geführten Debatten aber verspielt Deutschland diese Chance. Immer schwieriger wird es, internationale Fachkräfte anzulocken. Immer häufiger äußern gut ausgebildete, vorbildlich integrierte Menschen mit Migrationsgeschichte, dass sie hier keine Zukunft mehr sehen. Denn auch sie fühlen sich angesprochen, nein bedroht, wenn Politik und Gesellschaft über Wochen nur noch von kriminellen Afghanen und Syrern sprechen, statt ganz einfach von Terroristen. Wenn der Eindruck erweckt wird, Deutschland wäre automatisch ein sicherer Ort, wenn man nur bestimmte Herkunftsgruppen draußen halten würde. Ein durch und durch rassistischer Gedanke übrigens.
Natürlich: Wie Politik die Migration regelt – wie etwa Geflüchtete verteilt, Asylsysteme ausgestaltet oder Abschiebungen umgesetzt werden – all das muss sie aushandeln. Aber wenn die Migrationsdebatte fast ausschließlich durch terroristische Attentate bestimmt wird, wenn andere relevante Themen wie Chancengleichheit, institutioneller Rassismus, und auch die zahlreichen Beispiele erfolgreicher Migration und Integration dabei zur völligen Nebensache werden, dann wird es gefährlich. 

Deutsche Geschichte gerät in Vergessenheit

Dass in den 90er-Jahren Asylbewerberheime in Deutschland brannten, hatte eine Vorgeschichte. Von einem Heer von "Scheinasylanten" sprach in den 80ern etwa der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß gern. Viele Medien griffen den Begriff auf. Auch die Idee, Asylbewerbern Sachleistungen statt Geld zu geben, um Missbrauch zu verhindern, wurde damals populär und prägte das gesellschaftliche Klima und den Blick auf Migrantinnen und Migranten insgesamt: Alles potenzielle Straftäter, alles Schmarotzer ...
Die Folgen in Hoyerswerda, Solingen etc. sind hoffentlich noch nicht bei allen vergessen. Sicherer geworden ist dieses Land damals definitiv nicht. Und dennoch erinnern die aktuellen Debatten auf erschreckende Weise an jene Zeiten. Der Unterschied ist, dass jetzt sogar angeblich linke Parteien und der Bundespräsident sie mit befeuern und die problematisierende Sicht auf das Thema Migration zum Mainstream geworden ist. Entgegen allen wissenschaftlichen und historischen Gegenbeweise. Nein, Migration ist nicht das Problem. Auch nicht das Grundrecht auf Asyl. Das Problem ist, was dieses Land gerade daraus macht.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.