![Man in Anzug vor dunklem Vorhang: J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, auf der Münchner Sicherheitskonferenz Man in Anzug vor dunklem Vorhang: J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, auf der Münchner Sicherheitskonferenz](https://bilder.deutschlandfunk.de/65/4a/dd/f0/654addf0-9ab4-463c-baea-4652cebff581/vance-muenchner-sicherheitskonferenz-100-1920x1080.jpg)
Im Februar 2022 hat Wladimir Putin mit seinem Frontalangriff auf die Ukraine eine Zeitenwende eingeleitet. Ziemlich genau drei Jahre später hat der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance sie um eine weitere Umdrehung vorangetrieben. Seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz war eine Attacke auf das geistige Fundament der transatlantischen Allianz, ein Abgesang auf die Idee einer Partnerschaft, die auf gemeinsamen Werten gegründet ist.
Im Gewand einer Lehrstunde über das Wesen einer wahrhaft freiheitlichen Demokratie machte Vance verkappte Wahlwerbung für die AfD, forderte im Namen der Meinungsfreiheit, die Tore für die Beeinflussung von Wahlen und öffentlichen Diskursen durch die Propagandaapparate Putins und Chinas zu öffnen.
Die Zuhörer in München wurden belehrt, als wären sie Repräsentanten autoritärer Regime. „Das ist nicht akzeptabel“, rief Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius dem US-Vizepräsidenten nach. Nie waren sich Amerika und Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ferner, nie fremder als an diesem Tag.
Europa in Schockstarre
Die Vance-Rede ist Teil einer rasanten Dynamik, mit der sich die USA in diesen Tagen von Europa abkoppeln. Trump treibt die Entfremdung mit den Mitteln der Militär- und Handelspolitik voran, Vance hat in München klargemacht, wie kalt auch der amerikanische Zeitgeist den Europäern ins Gesicht weht.
Überraschen kann nicht das Ziel, wohl aber das Tempo, mit dem der neue US Präsident und sein Team sich aus der Nachkriegsgeschichte verabschieden. Europa scheint in Schockstarre zurückzubleiben – sofern von einem Europa überhaupt die Rede sein kann.
Chaotisierung der amerikanischen Außenpolitik
Der dramatische Befund wird nicht dadurch gemildert, dass zu den Mitteln, mit denen Trump seinen isolationistischen Kurs vorantreibt, die Chaotisierung der amerikanischen Außenpolitik gehört. Rollen zentraler Akteure sind ungeklärt, wichtige Posten nicht besetzt. Dafür haben radikale Ideologen außerhalb des Regierungsapparates den direkten Draht ins Oval Office.
Entsprechend widersprüchlich sind die Signale zu dem Verhandlungsprozess über die Ukraine, mit dem Trump die Europäer überrumpelt hat. Welche Rolle sie und die Ukraine selbst dabei spielen können, ist ungewiss. In der Münchner Rede des Vizepräsidenten kam das Thema gar nicht erst vor. Alle Fragen, die die Europäer in München stellen wollten, blieben unbeantwortet.
Ob Politik, Medien und die breite Öffentlichkeit in Deutschland die Dramatik dieser Entwicklung verstanden haben, könnte sich in kommenden Tagen erweisen. Der Bundestagswahlkampf müsste in seiner letzten Phase ein entscheidendes Thema haben: nämlich die Frage, wie sich Deutschland und Europa in einer neuen Weltordnung jenseits amerikanischer Friedens- und Freiheitsgarantien selbst verstehen wollen.
Eine Antwort darauf könnte der beste Beleg dafür sein, dass die freiheitliche Demokratie in Europa die Kraft und den Selbstbehauptungswillen hat, die J.D. Vance ihr heute abgesprochen hat.