Tötung von Hamas-Chef
Kommentar: Schlag ins Gesicht des iranischen Regimes

Die Tötung von Hamas-Führer Ismail Hanija mitten in Teheran bringt den Iran massiv unter Druck. Bislang konnte sich das Regime im Hintergrund halten, obwohl es als Strippenzieher im Nahost-Konflikt gilt. Damit ist es nun vorbei.

Von Karin Senz | 31.07.2024
Akademiker der Teheraner Universität schwenken bei einer Demonstration anlässlich der Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija Palästina- und Iran-Flaggen und halten ein Bild des Verstorbenen.
Demonstration von Universitätsangehörigen in Teheran: Die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija im Iran hat Aufruhr zur Folge. (picture alliance / Anadolu / Fatemeh Bahrami)
Es wird eng für den Iran. Bis jetzt hat er es geschafft, sich nicht direkt in den Gaza-Konflikt hineinziehen zu lassen, obwohl jeder weiß, dass er im Hintergrund einer der Hauptakteure ist. Er hat seine Verbündeten machen lassen, die Hamas, die Hisbollah oder die Huthis – bis auf einmal: beim Vergeltungsschlag für den tödlichen Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien. Da hat Teheran selbst die Raketen und Drohnen nach Israel geschickt: ein Vergeltungsschlag mit angezogener Handbremse, mit der klaren Intention, möglichst wenig Schaden anzurichten oder Menschen zu treffen – nur dem Signal, was man machen könnte, wenn man denn richtig loslegen würde.

Tötung von Hanija: die pure Provovation

Der Mord an Ismail Hanija mitten in Teheran nur wenige Stunden nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten Masoud Pezeshkian hat einiges verändert. Er ist ein Schlag mitten ins Gesicht des iranischen Regimes – die pure Provokation.
Man kann davon ausgehen, dass die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Feierlichkeiten mit all den ausländischen Staatsgästen immens waren. Aber der iranische Geheimdienst, die Revolutionsgarden, also der ganze Überwachungs- und Sicherheitsapparat hat es nicht geschafft, diesen hochrangigen engen Verbündeten auf iranischem Boden zu schützen – er hat komplett versagt und wurde vorgeführt.
Das Internet ist voller hämischer Kommentare aus der iranischen Opposition und Protestbewegung mit dem Tenor: das Regime war wohl zu sehr damit beschäftigt, die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu unterdrücken und zu verfolgen.

Gibt es in Teheran keine Luftabwehr?

Es gab eine Reihe tödlicher Anschläge im Iran auf Mitglieder der Revolutionsgarden etwa oder auf Atomexperten. Aber der gegen Hanija hat eine andere Qualität. Angeblich hat eine Rakete aus dem Ausland das Gebäude in Teheran getroffen. Das Ganze hat mehr den Charakter eines kriegerischen Angriffs als einer geheimen Aktion, schreibt ein iranischer Beobachter im Netz. Außerdem fragt man sich: Gibt es in Teheran keine Luftabwehr?
Das iranische Regime gilt bei manchen als äußerst clever – viele Oppositionelle verspotten es dagegen als dumm. Vielleicht trifft übermütig zu. Denn weder die Politik des maximalen Drucks des früheren US-Präsidenten Donald Trump, noch die heftigen Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini konnten das Regime in die Knie zwingen. Sowas kann übermütig machen.
Der erste Rückschlag kam beim Hubschrauberabsturz von Präsident Ebrahim Raisi im Mai, der entweder glaubte, unter seinem Turban sei auch extrem schlechtes Wetter für ihn bei dem Flug keine Gefahr, oder aber er wurde Opfer eines Anschlags.
Teheran deklarierte es als Unglück – so sparte man sich auch die Suche nach einem Schuldigen – entweder in den eignen Reihen oder im Ausland. Bei letzterem hätte man wieder Vergeltung üben müssen. Und das mit der Vergeltung ist so eine Sache. Die Drohungen sind ein Automatismus, die Ausführung oft mehr symbolisch, die Klappe oft größer als das dahinter. Wie nach dem Attentat auf den iranischen General Kassim Soleimani.
Angeblich hat der Iran bei seinem Angriff auf US-Stellungen im Irak Washington rechtzeitig vorgewarnt, damit nichts Schlimmeres passiert, um keinen Gegenschlag zu provozieren.

Iran muss auf den Anschlag reagieren

Ähnlich dieses Frühjahr. Der israelische Gegenschlag im Mai auf militärische Einrichtungen in Isfahan sei praktisch ins Leere gelaufen, so Teheran, darum keine weitere Vergeltung nötig.
Israel bekennt sich in der Regel nicht zu irgendwelchen Anschlägen, so auch nicht zu dem auf Hanija. Das lässt dem Iran meistens auch ein Schlupfloch, eben nicht direkt reagieren zu müssen. Nur diesmal funktioniert das nicht. Die israelische Botschaft ist zu deutlich: Mitglieder der Achse des Bösen sind nirgendwo sicher. Teheran muss reagieren, aber nur wieder mit angezogener Handbremse, nur wieder fürs Schaufenster? Das könnte diesmal nicht reichen, wenn man weiter in der Region ernstgenommen werden will.
In einem Punkt ist Teheran sicher clever: Man nimmt sich immer Zeit für eine Antwort; wenn es diesmal aber nicht nur bei einer symbolischen bleibt, dann könnte die ganze Region noch weiter ins Chaos stürzen, diesmal mit dem Iran mittendrin.