Wenn die Demokratie in Gefahr gerät, müssen sich auch öffentlich-rechtliche Medien einmal mehr fragen: Wie gestaltet sich ihre Rolle als Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft? Demokratie lebt von Debatte und von aufrichtigem Streit, der sich an Regeln und Fakten hält – mit dem Ziel der Wahrheitsfindung. Doch was ist schon Wahrheit? Zumal in Zeiten, in denen Fakten verdreht werden, um dem Populismus oder der Propaganda aus Moskau zu dienen.
Wie oft geht es nicht mehr um Erkenntnis, sondern um die nächste Schlagzeile. Journalismus lebt von öffentlicher Aufmerksamkeit. Doch das kann nicht bedeuten, dass Einschaltquoten und Klickzahlen wichtiger werden – oder es sogar schon sind – als Inhalte und Erkenntniswert.
Selbstreflexion sollte zum Markenzeichen werden
Höchste Zeit sich zu fragen: Was ist die Rolle von ARD, ZDF und Deutschlandradio in diesen Tagen? Schaffen sie das, was ihre Aufgabe ist: Ein Ort zu sein für den demokratischen Austausch, für Aufklärung? Wie groß ist die Gefahr, dass sie auch Bühne sind für leichtfertige Zuspitzungen, ja sogar für Lügen? Provozieren, forcieren sie den Trend zur groben Vereinfachung vielleicht noch?
Es geht um Selbstreflexion und Selbstkritik, um ein Hinterfragen des eigenen Handwerks und auch der Formate. Dies könnte zum Markenzeichen des mitunter hart gescholtenen öffentlich-rechtlichen Systems werden.
Haltung und Mut zur Repräsentationslücke
Ein Beispiel: Sollten AfD-Funktionäre in Liveinterviews und Talkshows eingeladen werden? Natürlich zählt das Argument: Die AfD sitzt in vielen Parlamenten. Als Teil des demokratisch gewählten Meinungsspektrums sollte sie in den öffentlich-rechtlichen Programmen wahrgenommen werden. Aber live, im Eins-zu-eins-Interview und in Talkshows – in dem Wissen, dass auch gelogen oder manipuliert wird?
Und dazu noch dieses Gedankenspiel: Mal angenommen, in einer beliebigen Umfrage sagen 25 Prozent der Menschen, sie seien rechtsextrem. Darf deren Weltsicht ungefiltert ins Programm – weil man über sie nicht so einfach hinweggehen kann? Nein: Die Redaktionen müssen Haltung zeigen. Es geht um den Mut zur Repräsentationslücke.
Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine Mitverantwortung für die Stabilität der Demokratie. Gerade hier können sich Redaktionen nicht verstecken hinter dem Mantra: Man bilde doch nur ab, was in Deutschland gedacht und gemeint werde.
Lügen entlarven, Klischees benennen
Womöglich erfordern diese Zeiten neue Formate, andere journalistische Herangehensweisen. Und womöglich sollten faire Debatten und Recherchen, die es längst gibt, viel stärker ins Schaufenster gestellt werden.
Die Welt ist komplexer geworden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss dem Rechnung tragen, indem er Differenzierung zulässt: Journalismus muss heute mehr denn je Hintergründe liefern und Orientierung schaffen. Lügen als Lügen entlarven, Klischees als solche benennen und leere Phrasen enttarnen.
Populismus ist auch Stilmittel von Journalisten
Populismus ist schon lange ein Stilmittel demokratischer Parteien und natürlich auch von Journalisten. Es wird geschimpft, verkürzt, verdreht. Und der Kommentator weiß es ohnehin besser.
Mal geht es gegen die ideologischen Grünen oder gegen die Klientelpartei FDP, die zögerliche SPD, die populistische Union. Das Publikum kann den Eindruck gewinnen: Im Grund ist jede demokratische Partei ein Totalausfall. Ein Blame Game, das gefährlich werden kann, wenn es zu Parteien- und letztlich Demokratieverdrossenheit führt.
Wie also gelingt Kritik statt Polemik? Wie sprachkritisch erfolgt der Umgang mit russischen Narrativen? Fragen zur Selbstreflexion. Und eine Möglichkeit, genau das ins Schaufenster zu stellen: Denn es gibt ja längst Formate, Sendungen, die das verstanden haben. Die aber wegen fehlender Knalleffekte weniger genutzt werden. Die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie machen ihnen einen Strich durch die Rechnung.
Schwarz-weiß Denken gefährdet die Demokratie
Gestärkt werden sollten Räume, in denen Menschen zusammenkommen, die andere ausreden lassen, die sich aufrichtig zuhören und versuchen einander zu verstehen, statt sich niederzuschreien. Formate, in denen dem Publikum etwas zugetraut wird – nämlich innezuhalten, nachzudenken und zu einem Urteil zu kommen, das auf Fakten beruht, und nicht auf Ressentiments.
Unterkomplexe Debatten, schwarz-weiß Denken – beides gefährdet die Demokratie. Will er sie bewahren, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich seiner Verantwortung bewusst und ihr gerecht werden.