Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Doch die normative Kraft des Faktischen ließ ihm am Ende keine Wahl: Van der Bellen hat FPÖ-Chef Herbert Kickl beauftragt, mit der konservativen ÖVP Gespräche über die Bildung einer Bundesregierung zu führen: den Herbert Kickl, der den 80-jährigen Alexander Van der Bellen schon mal als "Mumie in der Hofburg" und "senil" beschimpft hat. Den Herbert Kickl, der als Innenminister 2018 den Verfassungsschutz von einer Polizeieinheit durchsuchen ließ. Den Herbert Kickl, der seit Jahren verbal an rechtsstaatlichen Prinzipien rüttelt. Seine Devise, Zitat: "Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht."
Chancen auf FPÖ-Regierung sind hoch
Kickl soll also nun eine tragfähige Regierung bilden, mit seiner FPÖ und der ÖVP. Noch ist kein Koalitionsvertrag geschlossen, sind keine Ministerämter verteilt. Doch die Chancen auf einen Erfolg der Verhandlungen gelten als hoch. Unter anderem, weil ein Scheitern Neuwahlen bedeuten würde. Und die würden – Stand heute – zu einem noch besseren Ergebnis für die FPÖ führen.
Die FPÖ sitzt also am sehr viel längeren Hebel. Die ÖVP hingegen steht geschwächt da. Sie hat nicht nur die Wahl verloren. Sie hat sich durch die parteiinternen Flügelkämpfe und die Demontage von Karl Nehammer in den vergangenen Tagen als eine im Innern tief gespaltene Partei herausgestellt, die lieber mit der FPÖ als mit den Sozialdemokraten regieren will.
Die schwache Verhandlungsposition der ÖVP ist nicht nur für die Partei selbst eine schlechte Nachricht, sondern auch für den Rest des Landes und Europas. Denn in der EU- und Außen-Politik dürften in den kommenden Koalitionsverhandlungen die dicksten Bretter gebohrt werden. Je mehr Positionen von der FPÖ hier hereinverhandelt werden, umso schlechter für ein geeintes Europa.
Viktor Orban ist Herbert Kickls Vorbild
Denn dann könnte Österreich den Weg seiner Nachbarländer Ungarn und Slowakei einschlagen. Herbert Kickl hat Ungarns Regierungschef Viktor Orban mehrfach als Vorbild bezeichnet. Die FPÖ und die Fidesz haben im EU-Parlament eine neue Fraktion der sogenannten Patrioten gegründet.
Auch die FPÖ spricht sich explizit etwa gegen europäische Sanktionen gegen Russland aus. Ziehen diese Überzeugungen zusammen mit Herbert Kickl ins österreichische Kanzleramt ein, entsteht zwischen Wien, Budapest und Bratislava ein Dreieck der Quertreiber, das in der EU eine Menge Schaden anrichten kann.
Das sollte, sechs Wochen vor der Bundestagswahl, auch den europafreundlichen Parteien in Deutschland zu denken geben. Wenn sie nicht zu Kompromissen bereit sind, steht mehr auf dem Spiel, als ein paar Jahre Regierungsarbeit.