Er sei auf einer Friedensmission in Moskau, behauptete der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Tatsächlich aber ist es umgekehrt: Sein Besuch beim russischen Staatschef Wladimir Putin dürfte, wenn er überhaupt einen Effekt hat, den Krieg in der Ukraine eher befeuert haben.
Die Klarstellung aus Brüssel, dass Orbán nicht im Namen der EU reiste, halfen nichts. Natürlich wurde der ungarische Ministerpräsident bei der Pressekonferenz in Moskau als Regierungschef des Landes vorgestellt, das derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat innehat.
Auch Orbán selbst wollte seine Reise so verstanden wissen. Das Ringen um den Frieden in Europa sei wichtigste Aufgabe der ungarischen Ratspräsidentschaft, erklärte er.
Was für ein Erfolg für den russischen Machthaber Putin! Bisher konnte er nur durch Reisen nach Zentralasien, nach China oder Nordkorea zeigen, dass er international nicht isoliert ist. Nun macht ihm sogar ein westlicher Regierungschef in Moskau seine Aufwartung.
Orbáns Besuch – ein wichtiger Erfolg für Putin
Der Kremlchef durfte seine Lügen wiederholen, wonach der Westen am Krieg in der Ukraine schuld sei und er selbst nur Frieden wolle. Das dürfte auf das russische Publikum stärker gewirkt haben als sonst – in Anwesenheit eines westlichen Regierungschefs, der artig zuhörte. Ein wichtiger Erfolg für Putin in einem Moment, da sich auch immer mehr Russinnen und Russen ein Kriegsende wünschen, wie Erhebungen zeigen.
Man mag einwenden, es sei doch grundsätzlich gut, eine Initiative für Friedensverhandlungen zu ergreifen. Sehr wahrscheinlich ging es Orbán aber gar nicht primär um Friedensverhandlungen bei seiner Moskaureise, sondern um seine Geschäfte mit Russland: um billiges Gas, das er weiter aus Russland beziehen möchte, um den geplanten Ausbau des Atomkraftwerks in Paks durch den russischen Konzern Rosatom.
Dass es bei den Gesprächen genau darum ging, deutete Putin an. Sollte der ungarische Regierungschef allerdings ernsthaft glauben, dass er auf Friedensmission war, dann wäre das naiv und dilettantisch.
Putin glaubt, dass er den Krieg gegen die Ukraine gewinnen kann
Denn Putin ist derzeit nicht zu Verhandlungen bereit, auch wenn er das behauptet. Putin wird erst dann verhandeln, wenn er sich davon mehr verspricht als von einer Fortsetzung des Kriegs. Das tut er ganz sicher nicht.
Auf dem Schlachtfeld ist die russische Armee zwar von einem Sieg weit entfernt. Obwohl die Ukraine über Monate und bis vor Kurzem keine Unterstützung aus den USA bekam, errang sie nur kleine militärische Erfolge.
Trotzdem geht Putin nach wie vor davon aus, dass er den Krieg gewinnen kann. Nämlich dann, wenn sich die politische Landschaft in den NATO-Staaten ändert.
Etwa wenn in Frankreich die russlandfreundlichen Ultrarechten an die Regierung kommen und in den USA im November Donald Trump zum Präsidenten gewählt wird. Trump werde die Ukraine zu einer De facto-Kapitulation zwingen, so das Kalkül im Kreml. Ohne ausreichende Unterstützung aus der EU sitze Kiew dann in der Falle.
Orbáns Besuch verleitet Moskau zu Fehleinschätzung
Orbáns Besuch wurde in Moskau als Vorbote dieser Entwicklung gewertet. Die EU tue nur so, als ob sie erzürnt sei, erklärte etwa der Parlamentsabgeordnete Alexej Schurawljow. In Wahrheit habe der ungarische Ministerpräsident für die EU in Moskau vorgefühlt, wie der „Konflikt“ beendet werden könnte.
Die russische Interpretation von Orbáns Besuch lautete also: Die EU sei jetzt eben doch bereit, ohne die Ukraine über die Ukraine zu verhandeln. Sie rücke nach und nach von Kiew ab.
So falsch diese Einschätzung auch ist, sie hat Folgen. Der Besuch von Orbán in Moskau hat Kremlchef Putin und die russischen Eliten in der Überzeugung bestärkt, dass sie mit ihrem Krieg auf dem richtigen Weg sind. Genau deshalb hat Orbán dazu beigetragen, dass der Krieg noch intensiver wird.