Kommentar zum PEN Berlin
Bratwurstbude reloaded

Zwei Jahre nach der Gründung des PEN Berlin kriselt es wieder. Nach einem Streit um eine Resolution zum Nahostkonflikt sind erneut Mitglieder ausgetreten. Eine vertane Chance für den vielbeschworenen Dialog.

Ein Kommentar von Carsten Hueck |
Skulptur eines Bären mit Wurst auf einem Imbiss in Berlin, vor wolkenverhangenem Himmel
Der PEN Berlin wollte keine "Bratwurstbude" sein wie der PEN Deutschland. Das scheint nicht so gut zu klappen, findet unser Kommentator. (picture alliance / Wolfram Steinberg)
Die aktuellen Eitelkeiten haben eine Tradition, aber sie haben offenbar keine Strategie. Die meisten erinnern sich wohl noch an Deniz Yücels trotzigen Rücktritt als Präsident der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland 2022. „Als Aushängeschild einer Bratwurstbude“ stünde er nicht mehr zur Verfügung, verkündete er und twitterte, dass der PEN von Spießern und Wichtigtuern dominiert sei. Hintergrund waren Yücels Äußerungen zu einer Flugverbotszone über der Ukraine.
Was folgte, war ein Neuanfang. Viele andere Mitglieder verließen mit Yücel den PEN Deutschland und gründeten PEN Berlin. Yücel wurde als Sprecher neben der Schriftstellerin Eva Menasse das Gesicht des neuen PEN.

Lobenswertes Engagement

Vor einem Jahr dann kam es erneut zu Austritten, nachdem es Konflikte um Resolutionen zugunsten der Autorinnen Adania Shibli und Sharon Dodua Otoo wegen ihrer Unterstützung der israelkritischen Boykott-Kampagne BDS gegeben hatte. Verbitterung und Enttäuschung auf allen Seiten. Und wieder einmal Eitelkeiten.
Und heute? Der PEN Berlin hat ungefähr 750 Mitglieder und kann auf ein durchaus lobenswertes Engagement verweisen. Er organisierte im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg eine Veranstaltungsreihe über Meinungsfreiheit, er setzt sich für verfolgte Schriftsteller ein, zuletzt für den in Algerien verhafteten Friedensbuchpreisträger Boualem Sansal.
Trotzdem kommt der Verein nicht zur Ruhe. Im Gegenteil, die Bratwurstbude ist zurück.

Streit um eine Resolution

Bei der virtuellen Mitgliederversammlung am Wochenende wurde heftig über eine Resolution gerungen, in der es um Journalisten, Schriftsteller und Literaten jeden Geschlechts geht, die seit dem 7. Oktober 2023 während der Kämpfe in Israel, Gaza, im Libanon und im Westjordanland ums Leben gekommen sind. Erst distanzierten sich Mitglieder des PEN Berlin von der Resolution, dann erschien ein offener Brief zahlreicher Vereinskollegen- und kolleginnen, die ihren Austritt erklärten, weil ihr Entwurf der Resolution nicht angenommen worden war.
Man kann traurig sein über die Toten in Gaza und in Israel. Man kann traurig sein auch über die Verhältnisse im PEN Berlin. Aber man muss besorgt sein über einen Haufen Bratwurstfresser, die sich gegenseitig ihren Senf unter die Nase schmieren, bevor sie die Pommesgäbelchen zücken und aufeinander einstechen. Die Idee wäre doch, im zwar winterlichen, aber warmen und sicheren Deutschland, einen Gesprächsmodus herzustellen, der vielleicht zu Vorschlägen führt, den tragischen Konflikt in Nahost zu entschärfen und auf einen Frieden hinzuarbeiten. Gerade diejenigen, die mit dem Wort umgehen, können da einen Anfang machen. Ein Beispiel geben.

Austritte, um Dialog zu vermeiden

Diese Chance ist auf der letzten Mitgliederversammlung des PEN Berlin vertan worden. An ihr hat überhaupt nur ein Drittel der Mitglieder teilgenommen, die anderen zogen wohl Zimtsterne den Bratwürsten vor. Von der Selbstzerlegung des PEN Berlin zu sprechen, wäre also verfrüht. Aber es ist doch für unsere aufgeheizte Debattenkultur bezeichnend, wie eine satte von moralischem Furor beseelte Gruppe, sich unter dem Zeichen von Empathie und Solidarität über andere erhebt und glaubt, im Besitz der einzigen Wahrheit, einfach austreten zu können, um mit Andersdenkenden nicht mehr reden zu müssen. Und das beim PEN Berlin, der sich die Bekämpfung jedweder Form von Hass und den ungehinderten Gedankenaustausch auf die Fahnen geschrieben hat.