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Kommentar zu Silvesterrandale
Ein Böller-Verbot wäre ein Placebo

Das Problem der massiven Angriffe gewaltbereiter Individuen auf Ordnungskräfte lasse sich mit einem Böllerverbot nicht in den Griff kriegen, kommentiert Dirk-Oliver Heckmann. Es komme vor allem darauf an, existierende Gesetze durchzusetzen.

Ein Kommentar von Dirk-Oliver Heckmann | 02.01.2023
Ein Mann wirft mit einer Flasche in Richtung von Polizisten. In der Nacht zu Neujahr ist es im Stadtteil Connewitz zu Zusammenstößen zwischen Randalierern und der Polizei gekommen.
In der Silvesternacht sind in mehreren Städten Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Rettungsdienste gezielt attackiert worden (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
Ganz ehrlich: Mir kann die ganze Böllerei zu Silvester gestohlen bleiben. Stunden-, nein tagelang Kracher zu zünden und immer gleiche Raketen aufsteigen zu lassen – und damit Millionen zu verbrennen, die Umwelt zu verpesten, Menschen und Tiere in Schrecken zu versetzen – von mir persönlich aus könnte das alles generell abgeschafft oder auch verboten werden.
Und trotzdem weiß ich genau: als Kind und Jugendlicher sieht man das meist anders. Da gehört das Böllern – zumindest hier in Deutschland – einfach zu Silvester dazu. Und soll man Millionen, die Spaß daran haben, bestrafen dafür, dass es eine Minderheit gibt, die ihren Hass und ihre Wut ablassen oder auch ihre Abenteuerlust befriedigen wollen? Das Böllern ist doch nicht wirklich das Problem. Das Problem sind massive Angriffe von einer offenbar steigenden Zahl gewaltbereiter Individuen auf Polizeibeamtinnen und –Beamte, auf Rettungskräfte wie Feuerwehrleute und medizinisches Personal. Glaubt wirklich ernsthaft jemand, dass man dies mit einem bundesweiten Böllerverbot in den Griff bekommt?
Es ist nicht auszuschließen, dass ein Böllerverbot das Ausmaß der Exzesse reduzieren kann. Deshalb wäre eine Ausweitung von Böllerverbotszonen – die es ohnehin schon gibt – ein Weg.
Vor allem aber kommt es doch wohl darauf an, die Gesetze, die bereits existieren, zur Anwendung kommen zu lassen. Erst 2017 ist das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ in Kraft getreten. Seither können Angriffe auf Polizisten, Staatsanwälte und andere Sicherheitskräfte mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden – und zwar nicht nur bei einer Festnahme, sondern während jeder Diensthandlung. Ebenso geschützt werden Kräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste.
Doch das ist nur die eine Seite. Sicherheitskräfte und Sanitäter sind subjektiv der Meinung, alleine gelassen zu werden. Doch wer glaubt, dass Menschen andere Menschen gezielt mit Raketen beschießen können, täuscht sich. Die Strafverfolgung muss allerdings auch einsetzen, um glaubwürdig zu bleiben.
Es stimmt: Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt: schärfere Gesetze allein bewirken zu wenig. Oder – wie der SPD-Abgeordnete und Ex-Kriminalist Sebastian Fiedler betonte: Täterinnen und Täter schauen nicht ins Strafgesetzbuch, bevor sie einen Krankenwagen angreifen.
Deshalb muss vielleicht vor allem eins geschehen: Es müsste stärker untersucht werden, wer die Täter – und vielleicht auch – wer die Täterinnen sind. Was verbindet sie? Was motiviert sie? Geben die Erkenntnisse Aufschlüsse darüber, was man an der Situation verändern könnte? Vor einem Trugschluss sollte man sich hüten: Dass die Krawallmacher allesamt Migranten seien – wie es jetzt wieder allzu häufig heißt. Der Lagebericht des Innenministeriums zum Jahr 2021 verzeichnet 90.000 Übergriffe auf Polizeibeamte. Von den bekannten Tätern seien 84 Prozent männlich und 70 Prozent Deutsche.
Ein Böller-Verbot oder höhere Strafen wären ein Placebo. Die nächsten Angriffe auf Feuerwehrleute und Polizeibeamte wären programmiert. Und Polizeibeamtinnen und –Beamte wären in Deutschlands Städten damit beschäftigt, harmlose Knaller zu verfolgen. Das wäre den Gewaltbereiten gerade recht.