Kommentar zum Rechtsruck
Die bedrängte Mitte wehrt sich

USA, Frankreich, Deutschland: Ungesteuerte Migration hat die westlichen Demokratien außer Balance gebracht. Der Zuspruch für Rechtspopulisten ist eine Folge. Die Antwort kann nur lauten: besser steuern, besser abwehren, keine leeren Versprechungen.

Ein Kommentar von Peter Frey | 06.07.2024
Zerkratzter FCK AFD-Aufkleber an der Glasscheibe.
Es wäre gefährlich, allen AfD-Wählern nur plumpe Ausländerfeindlichkeit zu unterstellen, meint Peter Frey. (picture alliance / CHROMORANGE / Christian Ohde)
Es ist ein Sommer zum Fürchten. In Frankreich steht eine nationalistische Partei möglicherweise vor der absoluten Parlamentsmehrheit. In den USA versagt ein greiser Präsident im Duell. Die Neuwahl eines frisch vom Obersten Gericht gestärkten Donald Trump erscheint immer wahrscheinlicher. In Deutschland kann die AfD nach ihren guten Europawahlergebnissen von Regierungsbeteiligung im Osten träumen.

Die bisherigen Strategien haben versagt

Das Versagen der bisherigen Strategie der anderen Parteien, aber auch der Medien und einer breiteren Öffentlichkeit gegen Populisten ist nicht mehr zu leugnen. In Deutschland hat es die Wählerinnen und Wähler der AfD nicht beeindruckt, dass die Spitzenkandidaten korrupt waren und höchstwahrscheinlich im Dienst von Russland und China standen.
In den USA kann sich Trump weiter jede Lüge erlauben. In Frankreich wird die Forderung nach einer Aufweichung des Kerns der Europäischen Union mit Stimmen belohnt. Verkehrte Welt.
Aber Politik fängt mit der Anerkennung der Realität an. Die lautet, dass sich diese Trump-, Le-Pen- oder AfD-Wähler vom politischen System, so wie es ist, nicht mehr repräsentiert fühlen, mit Rekordwerten sogar in früher linken Milieus.
Moralische Appelle, Massendemonstrationen für die Demokratie, der an sich ja richtige Verweis auf unsere Grundwerte haben sie nicht beeindruckt. Vielleicht hat all das im Gegenteil die Reihen dieser Wählerinnen und Wähler in den verschiedenen Ländern nur fester geschlossen.

Vorzeichen wurden zu wenig ernst genommen

Machen wir uns nichts mehr vor: Es ist eine neue Mitte, die sich mit der Politik der deutschen Ampelkoalition, eines fast sozialdemokratischen US-amerikanischen Präsidenten und eines Liberalen im Élysée-Palast nicht mehr identifizieren kann.
Die Themen sind überall gleich. Das Gefühl, im eigenen Land nicht mehr zu Hause zu sein; das Gefühl, keine Anerkennung für die eigene Leistung zu bekommen; das Gefühl, angesichts zunehmender Migration keine Sicherheit zu finden.
Die vergessene und bedrängte Mitte, überall vor allem in den ländlichen Räumen, wehrt sich. Die Aufstände der Gelbwesten, die Proteste der Bauern waren Vorzeichen, die zu wenig ernst genommen wurden.
Dabei sind die Ausgangsbedingungen von Land zu Land verschieden. In Deutschland zerfällt der gesellschaftliche Konsens, trotz eines großzügigen Sozialstaats mit bestem Gesundheitssystem, guter Rente, staatlicher Bildung und Sozialfürsorge.
In Amerika dagegen muss die Mitte gegen hohe Inflation und steigende Immobilienpreise kämpfen, ohne Sicherheit, im Notfall vom Staat geschützt zu werden. Aber es geht nicht in erster Linie um soziale Ausgrenzung.

Ein Aufstand derjenigen, die sich wenig gesehen fühlen

Man sollte die Wähler populistischer Parteien nicht vorschnell als „abgehängt“ brandmarken. Vielleicht wählen gerade die jetzt den rechten Protest, die zu viel verdienen, um staatliche Hilfen beanspruchen zu können, aber zu wenig, um ein sorgenfreies Leben zu führen. Es ist ein Aufstand derjenigen, die sich von der liberalen Demokratie zu wenig gesehen, gehört und gestützt fühlen.
Gewiss, im Rassemblement, bei der AfD und bei den Trumpisten sammeln sich auch eingefleischte Nationalisten und Rassisten. Das muss man weiter beim Namen nennen. Aber es wäre gefährlich, allen Wählern nur plumpe Ausländerfeindlichkeit zu unterstellen.
Ungesteuerte Migration hat die westlichen Demokratien außer Balance gebracht. Jede neue Nachricht von Messerattacken wühlt die Menschen auf. Das alles mobilisiert per Social Media, von welchen Kräften auch immer angefeuert, die Kräfte, die die Demokratie angreifen oder gar zerstören wollen.
Demokratie oder ungesteuerte Migration - vor diese Alternative gestellt, kann die Antwort nur heißen: Besser steuern, besser abwehren, keine leeren Versprechungen wie „massenhafte Abschiebungen“.
Übrigens: Nur wenn es gelingt, Migration zu steuern, kann Politik noch eine gesellschaftliche Basis für gesteuerte Zuwanderung schaffen, die wir dringend brauchen, um die Wirtschaftskraft Deutschlands zu erhalten.

Die Demokratie kann sich retten

Am Schluss doch noch eine gute Nachricht: Die Demokratie ist stark, sie kann sich retten. In Polen haben Wählerinnen und Wähler die reaktionäre PiS abgewählt. Jetzt wagt Donald Tusk einen Neuanfang – auch im Verhältnis zu Deutschland – und wird plötzlich zum Hoffnungsträger Europas. Diese Woche markiert der Labour-Sieg in Großbritannien das Regierungsende einer irregewordenen konservativen Partei.
Aber der Preis für populistisches Regieren ist hoch. Großbritannien wird noch Jahrzehnte für den Brexit bezahlen. Politik muss Populisten vorher abwehren, indem sie die Probleme löst, die die Menschen aufwühlen.