Kommentar zur Rente mit 63
Das Erben muss reformiert werden, nicht die Rente

Nach dem Vorstoß der FDP, die abschlagsfreie Rente mit 63 wieder abzuschaffen, ist ein neuer Streit in der Ampelkoalition entbrannt. Wer für echte Generationengerechtigkeit sorgen wolle, müsse an die Erbschaftsteuer ran, kommentiert Marcus Wolf.

Ein Kommentar von Marcus Wolf | 19.05.2024
Illustration: Älteres Ehepaar schaut auf ein zerbrochenes Sparschwein.
Um Rentenkassen zu füllen, brauche es keine Rentenreform, meint Marcus Wolf. (imago / Ikon Images / Gary Waters)
Egal wie Regierungen die Rente anpacken, das Thema fliegt ihnen wie ein Boomerang jedes Mal wieder um die Ohren. Nun soll also die Rente mit 63 noch einmal aufgeschnürt werden – das fordert die FDP. Und bekommt dabei Rückendeckung von Wirtschaftsverbänden und Wirtschafts-Thinktanks.
Das Thema wird in den nächsten Wochen wohl nicht nur die Ampelkoalition beschäftigen, sondern auch die Deutschen zu Hause auf der Couch und in der Kneipe. Denn es eignet sich ja so gut für eine Debatte darüber, was Menschen verdient haben und was sie vermeintlich nicht verdient haben. Eine moralisch aufgeladene Debatte also, die nebenbei auch noch Milliarden im Haushalt freimachen könnte. Und auf den ersten Blick scheint es auch finanziell einzuleuchten: Woher soll schließlich das Geld kommen für den Bundeshaushalt?

Argument der Generationengerechtigkeit vorgeschoben

Von den Frührentnern, sagt also die FDP, und stößt damit eine Debatte an zwischen den Generationen. Zugegeben, die Rente mit 63 hat hohe Kosten - mehrere Milliarden Euro pro Monat. Und man kann sie auch aus diesen Gründen kritisieren. Aber doch bitte, bitte nicht, weil es einem vermeintlich um die junge Generation geht!
Bei der Rente mit 63 ist das Argument der Generationengerechtigkeit nur vorgeschoben. Wenn es Finanzminister Lindner und den deutschen Wirtschaftsverbänden und -Thinktanks wirklich um Fairness zwischen den Generationen ginge, dann sollten sie sich an ein anderes Thema setzen: die Reform der Erbschaftsteuer.

Eine Frage von Leistungsanreizen

Mit der Erbschaftsteuer käme die Koalition dem Anspruch einer generationengerechten Politik genau genommen sogar näher als mit der Debatte um die Rente mit 63. Bei der Generationengerechtigkeit geht es nämlich im Grunde nicht um Jung gegen Alt. Es geht um Vermögende gegen nicht Vermögende. An die junge Generation wird nur bei Bedarf appelliert, wenn es gerade politisch opportun ist.
Wie in kaum einem anderen reichen Land hängen in Deutschland die Chancen eines Menschen von den Finanzen und dem Bücherregal der Eltern ab. Diese Tatsache wurde bislang aber geflissentlich ignoriert. Dabei ist das nicht nur eine Frage der Generationengerechtigkeit, sondern – und das sollte besonders die deutschen Liberalen stören – eine Frage von Leistungsanreizen.
Wer reich erbt, bekommt Startchancen, von denen Kinder aus Arbeiterhaushalten, migrantische Kinder und Kinder in Ostdeutschland nur träumen können. Für diese Kinder scheint es so, als sei der Reichtum dieses Landes schon verteilt, die Karten gegeben, rien ne va plus.
Die Grundstücke, die Segelboote, die Eigentumswohnungen – man hat als Nicht-Erbe manchmal den Eindruck, als hätten alle anderen Menschen ihre Schäfchen schon im Trockenen.
Wenn die FDP ein Gefühl der Generationenungerechtigkeit angehen möchte, dann sollte sie hier den Hebel ansetzen. Die Haushaltslücken füllen sich zudem auch ganz von selbst, wenn man sich an die Besteuerung der Vermögen macht.
Und wenn die Rente mit 63 der FDP dann trotzdem noch ein Dorn im Auge ist, dann sei die Frage gestattet: Welche Leistungsanreize soll ein Mensch haben, der fest von einer Frührente ausging und nun doch länger arbeiten soll? Diese Rentenreform käme zurück wie ein Boomerang.