Kommentar
Selenskyj entlässt Armeechef: Befreiungsschlag oder historischer Fehlgriff?

Wolodymyr Selenskyj feuert den ukrainischen Armeechef, Walerij Saluschnyi. Es scheint so, als wolle sich Selenskyj eines potenziellen politischen Rivalen entledigen. Doch ein Wechsel an der Armeespitze ist riskant, meint Peter Sawicki.

Von Peter Sawicki |
Man sieht den ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem ehemaligen Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj. Sie geben sich die Hand.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem ehemaligen Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj. (IMAGO / Newscom / EyePress / IMAGO)
Dass Staatschefs in Kriegszeiten die Führung der Armee ihres Landes austauschen, ist militärhistorisch nichts Neues. Im Falle der Ukraine kam der Wechsel an der Spitze der Streitkräfte sogar mit Ansage. Seit Tagen hatte es Gerüchte über eine bevorstehende Ablösung von General Walerij Saluschnyi durch Präsident Wolodymyr Selenskyj gegeben. Diese Hängepartie konnte nicht lange andauern, um vor dem Hintergrund der militärisch wie politisch angespannten Lage nicht noch mehr Unruhe im Land aufkommen zu lassen.
Aus fachlicher Sicht mag dieser Schritt durchaus berechtigt erscheinen. Die mit großen Hoffnungen verbundene Gegenoffensive im Sommer ergab nicht die gewünschten Landgewinne. Das brachte Saluschnyj in Erklärungsnot – wenngleich zahlreiche Beobachter zu Recht darauf hinweisen, dass angesichts schleppender westlicher Waffenlieferungen die ukrainische Armee nur begrenzt in der Lage war, große Gebiete zu befreien.

Riskanter Wechsel an der Armeespitze


Fachlich spricht für Saluschnyjs Nachfolger Oleksandr Syrskyj auch dessen bisherige Bilanz und Erfahrung im Verteidigungskampf gegen Russland. Bereits ab 2015 war Syrskyj, ein in der Sowjetunion sozialisierter Generaloberst, für wichtige Operationen im Ostukraine-Krieg verantwortlich. Die geradezu bravouröse Verteidigung Kiews gegen Putins Marodeure vor fast zwei Jahren und die Befreiung großer Teile der Region Charkiw im Herbst 2022 gelten als zuallererst sein Verdienst. Nach 24 Monaten erscheint auch aus psychologischer Sicht ein neuer Impuls an der Armee-Spitze sinnvoll.

Doch der mutmaßliche Hauptgrund für Saluschnyjs Absetzung ist ein anderer. Selenskyj waren offenbar mögliche politische Ambitionen von Saluschnyj ein Dorn im Auge. Zu denen hat sich Saluschnyj zwar nie bekannt – sich aber mitunter entsprechend verhalten. So schrieb er im vergangenen Herbst einen Artikel für die britische Zeitung „The Economist“, in dem er Probleme der ukrainischen Armee thematisierte. Der Text trug die Handschrift eines politisch denkenden Strategen. Und er war, wie es in Kiew heißt, mit Selenskyj nicht abgesprochen.
Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf das Vertrauen zwischen dem Präsidenten und seinem Armee-Chef bleiben. Dennoch wirkt es jetzt so, als wolle sich Selenskyj, dessen Umfragewerte sinken, bloß eines potenziellen politischen Rivalen entledigen – der unangenehme Wahrheiten ausspricht und überdies im Land enorm populär ist. Wie sich dies auf die Moral der Soldaten auswirkt, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass sich die Ukraine in einer heiklen Phase befindet. Umso riskanter ist deshalb der Wechsel an der Armeespitze. Er könnte sich für Selenskyj als Befreiungsschlag – aber auch als historischer Fehlgriff erweisen.