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Kommentar
Tod am K2 – Wenn Empathie auf der Strecke bleibt

Beim Aufstieg zum zweithöchsten Berg der Welt, dem K2 in Pakistan, ist Ende Juli ein Hilfsträger gestorben. Auf Videos ist zu sehen, wie zig Bergsteigerinnen und -steiger über den Sterbenden steigen. War es unterlassene Hilfeleistung, wie die Bilder nahelegen?

Von Stefan Nestler |
Blick auf den K2 in Pakistan an einem Sommertag mit klarem Wetter.
Mit 8.611 Metern ist der K2 in Pakistan der zweithöchste Berg der Welt. Dort fand nun ein pakistanischer Hochträger den Tod. Der Unfall ist verstörend – und ein Alarmsignal. (IMAGO / Pond5 Images / IMAGO / xJosssKx)
Angesichts der Bilder aus der Gipfelzone des K2 fällt es schwer, nicht die Fassung zu verlieren. Da steigen Bergsteigerinnen und Bergsteiger einfach über einen Menschen hinweg, der in der Spur liegt – dazu die unbestätigte Information, dass es einige sogar taten, als er noch nicht tot war.
Könnte Muhammad Hassan heute noch leben? Wäre es anders gelaufen, wenn es sich nicht um einen pakistanischen Hochträger, sondern einen zahlenden Kunden aus dem Ausland gehandelt hätte?

K2 mutiert zum pakistanischen Mount Everest

Nach Augenzeugenberichten gab es einige wenige, die sich um Hassan kümmerten. Erfahrene Bergretter sagen, dass eine Bergung an dieser Stelle auf 8.200 Metern schwierig gewesen wäre. Und auch für die Retter fatal hätte enden können. Hassans Chancen, seinen Unfall zu überleben, standen also eher schlecht. Auch, weil es am K2 noch keine Rettungs-Infrastruktur gibt, wie inzwischen am Mount Everest.
Bis vor wenigen Jahren galt der K2 noch als zu schwierig und viel zu gefährlich für große, kommerzielle Expeditionen. Inzwischen haben auch stark expandierende Agenturen aus Nepal den 8000er in Pakistan im Programm und rücken mit immer größeren Gruppen an. Ihr Tenor: Alles ist für jeden möglich.
Der K2 mutiert zunehmend zum pakistanischen Everest. Mit allen negativen Begleiterscheinungen, die man vom höchsten aller Berge kennt: zahlende Kunden mit viel zu wenig Bergerfahrung, zu wenig qualifiziertes Personal am Berg, Staus an den heikelsten Stellen. Und da nichts schädlicher für das Geschäft ist, als zu scheitern, verdrängt blinder Ehrgeiz allzu oft einen verantwortbaren Umgang mit dem extremen Risiko.

Gefährliche Route ist kein Freizeitspaß für Unerfahrene

Was jetzt geschah, war wie Russisch Roulette spielen. Die Stelle, an der Hassan starb, ist die gefährlichste der gesamten Route. Der extrem steile Hang, der gequert werden muss, wird von riesigen Eistürmen überragt, aus denen immer wieder Brocken nach unten stürzen. Schon in früheren Jahren gab es dort Unglücke mit vielen Toten.
Auch in diesem Jahr gingen dort kleinere Eislawinen nieder. Wäre es eine große gewesen, hätte es nicht einen Todesfall gegeben, sondern dutzende. An dieser Stelle dürften eigentlich niemals unerfahrene Bergsteiger am Seil Schlange stehen. Und auch kein Hochträger im Einsatz sein, der, wie Hassan, vorher noch nie über das K2-Basislager hinausgekommen ist. Den seine Agentur nicht einmal mit einem Daunenanzug ausgestattet hat. Das ist in etwa so, als würde man einen Alltagswanderer ohne Wasser in die Wüste schicken.

Nur der Erfolg zählt – die Opfer nicht

Dass so viele unbeirrt über den Pakistaner hinweg Richtung Gipfel stiegen, verstört. Besonders, wenn er wirklich noch lebte. Doch auch das kennt man vom kommerziellen Bergsteigen am Everest.
Je mehr Menschen unterwegs sind und je dünner die Luft ist, desto eher bleibt die Empathie auf der Strecke. Dann zählt nur noch der Gipfel. Und hinterher wird nur über den Erfolg geredet – nicht über Opfer wie Muhammad Hassan.
Auf seinem Blog abenteuer-berg.de berichtet der Journalist Stefan Nestler über den Sport in extremen Höhen. Nestler kennt die Herausforderungen des Bergsteigens, er erklomm unter anderem bereits selbst den 7.129 Meter hohen Kokodak Dome in China (2014).