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Kommentar: Umgang von Museen mit Kolonialerbe
"Furcht um konzeptionelle Berechtigung"

Der französische Bericht über die Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes an die Herkunftsländer schlägt weltweit hohe Wellen. Hierzulande sei von einer Zeitenwende nicht viel zu spüren, kommentiert Carsten Probst. Doch das Humboldt-Forum müsse schon vor Eröffnung um seine konzeptionelle Berechtigung fürchten.

Von Carsten Probst |
    Die Westfassade des entstehenden Humboldt-Forums im Berliner Schloss im August 2018.
    Die Westfassade des entstehenden Humboldt-Forums im Berliner Schloss im August 2018. (SHF/Stephan Falk)
    Ein Hauch von Revolution weht von Paris aus her. Doch wenn man Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, folgen will, gibt es eigentlich nichts Neues zu vermelden. Sofortige Rückgabe von Kulturschätzen aus kolonialen Beutezügen, wie im Papier von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr gefordert? Die sofort danach von Präsident Emmanuel Macron eingeleitete Rückgabe von 26 Objekten aus dem Musée du Quai Branly in ihr Herkunftsland Benin? Nun gut, zwar klug und mutig, heißt es: aber wir Deutschen sind doch schon längst dabei! Die Vertreter afrikanischer und asiatischer Staaten gehen bei uns ein und aus, und stellen Sie sich vor: Viele wollen ihre Sachen gar nicht zurück. Also keinen blinden Aktionismus bitte! So ungefähr liest sich Parzingers Botschaft in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und ähnlich der Tenor bei Horst Bredekamp, mit Parzinger ehemaliger Gründungsintendant des Berliner Humboldt-Forums, dessen Sammlungen von dem Geist des Pariser Papiers unmittelbar betroffen sind.
    Daseinsberechtigung des Humboldt-Forums
    Im Westen also angeblich nichts Neues, aber wie erklärt sich dann das aufgeregte Echo auf die Empfehlungen von Savoy/Sarr, die alarmierten Wortmeldungen hierzulande, die vor einem neuen "Ablasshandel" oder dem Öffnen der Büchse der Pandora warnen? Auch Bredekamp und Parzinger, obwohl erkennbar auf Beruhigung aus, fallen unter die Kategorie Geisterbeschwörung. Denn natürlich wissen auch sie, dass nun erstmals eine maßgebliche europäische Regierung das bisherige Selbstverständnis öffentlicher Museen in Europa in Frage stellt. Die vielen Vorbehalte und praktischen Einwände von allen Seiten illustrieren dabei vor allem eines: Die psychologische Wirkung dieser kleinen Revolution im Umgang mit kolonialen Kulturgütern ist immens. Das Berliner Humboldt-Forum muss um seine konzeptionelle Berechtigung fürchten, noch bevor es im nächsten Jahr mit viel Pomp eröffnet wird. Natürlich werden jetzt nicht mit einem Schlag die ethnologischen Sammlungen leergeräumt und Schiffsladungen mit Kolonialgütern weggeschafft. Die Angst vor Kontrollverlust aber ist bei vielen Wortmeldungen in diesen Tagen mit Händen zu greifen. Savoy/Sarr haben der Debatte eine gewaltige Dynamik gegeben, und diese ist in der Tat neu. In Deutschland war sie jedenfalls vorher nicht zu spüren.
    Schwarzhandel als größtes Problem
    Ähnlich wie beim Washingtoner Abkommen für die Restitution von NS-Raubkunst geht es bei der Rückgabe kolonialer Kulturgüter nicht um juristische Verfahren. Langwierige Forschungen und freiwillige Selbstverpflichtungen der führenden Museen in den einstigen Kolonialmächten werden zu einer internationalen Kooperation führen müssen, die es so noch nie gegeben hat. Etliche Millionen Objekte sind von diesem vergleichsweise neuen Zweig der Provenienzforschung betroffen und damit ein Vielfaches der Fälle von NS-Raubkunst.
    Doch selbst wenn sich staatliche Institutionen nun europaweit auf Kooperationen zum kolonialen Erbe verständigen: Der nach wie vor florierende Schwarzmarkt und illegale Privathandel, aus dem mutmaßlich immer auch öffentliche Sammlungen Objekte bezogen haben, entzieht sich bislang noch weitgehend der Kontrolle. Hier bedarf es international vernetzter Sonderermittler. Wer es ernst nimmt mit der Restitution von kolonialem Kulturgut, der darf vor dem Schwarzmarkt nicht kapitulieren.