Kommentar zu Shell
Das Gericht ist nicht eingeknickt

Der vermeintliche Sieg von Shell bedeutet nicht, dass ein Gericht eingeknickt ist. Er bedeutet, das rechtssicher geklärt werden muss, was private Unternehmen tun dürfen. Staatliche Organisationen haben es versäumt, Ölmultis klare Grenzen zu setzen.

Ein Kommentar von Dorothee Holz |
Ein altes, rostiges Ölfass mit dem Shell-Logo liegt auf einem von Laub bedeckten Boden
2021 hatte das Bezirksgericht in Den Haag Shell dazu verpflichtet, seinen Kohlendioxidausstoß bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2019 zu verringern. Dieses Urteil wurde nun gekippt. (picture alliance / Moritz Vennemann)
Es scheint gerade alles gegen den Klimaschutz zu laufen: Die mit ehrgeizigen Klimazielen gestartete Bundesregierung ist schachmatt. Der Klimaleugner Trump übernimmt das Ruder in den USA. Klimaschutz ist für viele zum Unwort geworden. Und jetzt gibt auch noch ein Gericht in Den Haag dem Ölmulti Shell recht.
Die Ölkonzerne haben eine gewaltige wirtschaftliche Macht – Shell hat sich natürlich die besten Anwälte geholt. Bessere als vor drei Jahren, als der Konzern vor dem Bezirksgericht in Den Haag eine historische Niederlage kassierte. Das Gericht gab damals den Klägern recht. Es hatte Shell dazu verpflichtet, seinen Kohlendioxidausstoß bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2019 zu verringern. Shell wurde auch für den Klimaschaden seiner Zulieferer und Kunden verantwortlich gemacht.

Alle Ölmultis weiten ihre Produktion aus

Das hätte bedeutet, dass Shell seine Öl- und Gasproduktion mehr oder weniger hätte beenden müssen. Das Gegenteil ist bei Shell passiert – und nicht nur dort: alle Ölmultis weiten ihre Produktion aus. Denn mit Öl und Gas kann man gerade sehr viel Geld verdienen. So viel Geld, dass man die Rendite sogar ganz offen und kaltschnäuzig über den Klimaschutz stellt, wie es der BP-Chef getan hat.
Doch das neue Urteil, der vermeintliche Sieg von Shell, bedeutet nicht, dass hier ein Gericht eingeknickt ist. Es bedeutet vor allem, dass man sich die Rechtsgrundlage genauer anschauen muss. Wer entscheidet darüber, was private Unternehmen tun oder lassen dürfen, auf welcher Grundlage – und vor allem mit welcher Begründung?
Die Begründung für den – je nach Sicht - drastischen oder historischen Schritt der ersten Instanz, einem einzelnen Unternehmen handfeste CO2-Vorschriften zu machen, hat die Vorsitzende Richterin im Berufungsprozess zurückgewiesen. Das konnte sie, weil der Staat beziehungweise staatliche Organisationen es versäumt haben, den Ölmultis klare Grenzen zu setzen. An ihnen ist es aber, jetzt zu handeln.

Die Autoindustrie wird stärker in die Verantwortung genommen

Dass es möglich ist, die Industrie für den Klimaschutz in die Verantwortung zu nehmen, zeigt das Beispiel Autoindustrie. Ab nächstem Jahr verschärft die EU die sogenannten CO2-Flottenziele. Bei Nichteinhaltung drohen hohe Strafen.
Was hindert die Staaten daran, diesen Weg auch bei Öl- und Gasproduzenten zu gehen, verbindliche Vorgaben zu machen, die gerichtssicher und damit einklagbar sind? Oder noch besser: fossile Energie endlich konsequent über die Verknappung von CO2-Zertifikaten zu verteuern. Das würde erneuerbare Energien noch attraktiver machen – aus dem vermeintlichen „Gottesgeschenk“ Öl und Gas könnte dann auch finanziell ein „Fluch“ werden.