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Kommentar zur Wirtschaftslage
Der Regierung fehlt ein Kompass zur Förderung der Unternehmen

Wärmepumpen, Wachstumschancengesetz, Industriestrompreis - Bundeswirtschaftsminister Habeck hat auf mehreren Ebenen versagt, kommentiert Klemens Kindermann. Vor allem fehlten Konzepte, wie es wieder aufwärts gehen könnte.

Ein Kommentar von Klemens Kindermann |
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, auf dem Gelände des Heizkraftwerks Wedel.
Im günstigsten Fall eine zweite Chance: Wirtschaftsministerminister Robert Habeck (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
Mit Überraschung und Erstaunen haben Vertreter der Wirtschaft ein absolut chaotisches Halbjahr dieser Bundesregierung erlebt. Bürgerinnen und Bürger sollten zunächst mit einem Heizungsgesetz gegängelt werden, welches die Wirtschaft kein Stück voranbringt. Im Gegenteil: Kein Bundeswirtschaftsminister hat es bisher geschafft, eine von ihm favorisierte Branche – in diesem Fall die der Wärmepumpen – in so kurzer Zeit abstürzen zu lassen.

Habeck hat wieder versagt

Wäre der Wirtschaftsminister der Vorstandschef eines Unternehmens, würde der Aufsichtsrat ihm im günstigsten Fall noch eine zweite Chance geben. Doch Robert Habeck hat jetzt wiederum versagt. Er besaß nicht den Einblick und die Übersicht, ein Projekt wie das Wachstumschancengesetz, was der Wirtschaft dieses Landes zumindest etwas hilft, auch in der eigenen Partei durchzusetzen. Durchsetzungskraft – das ist eine Management-Schlüsselfähigkeit.
Nun steht man wieder vor einem Scherbenhaufen, und die Wirtschaft staunt ob dieser Unfähigkeit. Aber leider ist das nicht nur ein bunter Ballonwettbewerb in der politischen Blase Berlin, eine Sache, die mit Schönreden des Wirtschaftsministers zugekleistert werden könnte. Die Situation hat sich für die deutsche Wirtschaft inzwischen zugespitzt.

Deutschland als "Sick Man of Europe"

Statt einer Frühjahrsbelebung bleibt das Wachstum schwach. Es gibt kaum jemanden in der Ökonomen-Zunft, der Deutschland in diesem Gesamtjahr jetzt nicht in einer Rezession sieht. Der Internationale Währungsfonds brandmarkt Deutschland als einzige Volkswirtschaft unter mehr als 20 untersuchten wichtigen Staaten und Regionen, in der die Wirtschaftsleistung sinkt. Was die britische Zeitschrift „Economist“ um die Jahrtausendwende prophezeite, ist jetzt erneut auf dem besten Weg, Realität zu werden: Deutschland als der "Sick Man of Europe", als der kranke Mann Europas.

Industriestrompreis nicht durchgesetzt

Die Gründe liegen eigentlich auf der Hand: in der deutschen Wirtschaft nehmen traditionell die Industrieproduktion und der Außenhandel großen Raum ein, daher wird sie von sinkenden Exporten und hohen Energiepreisen besonders getroffen. Der Anteil an energieintensiver Produktion in der Industrie lag bis vor kurzem bei über 20 Prozent – also sehr hoch. Aber auch hier versagt der Wirtschaftsminister: einen Industriestrompreis kann er beim Bundeskanzler nicht durchsetzen, der darauf verweist, dass davon nur die Großkonzerne profitieren.
Hat der Wirtschaftsminister auch ein Konzept für die etwas mehr als zwei Millionen Soloselbständigen und Kleinstbetriebe in Deutschland, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden? Die, die mit höchstens acht Beschäftigten die Ökonomie in Gang halten, die nicht wegziehen können, nicht im Ausland investieren, die aber genau die gleichen Energiepreis- und auch Export-Probleme wie die Großen haben?
Wenn ein Wirtschaftsminister sich öffentlichkeitswirksam auf der Sommerreise in Fabrikhallen ihm unbekannte Geräte beguckt, ist das noch kein Konzept. Auch die tollen Halbleiterfabriken, die in Dresden oder Magdeburg entstehen sollen, helfen dem größten Teil der deutschen Wirtschaft wenig. Sie sind – von Ökonomen höchst kritisiert –  Schaufenster-Investitionen.

Kein Kompass zur Förderung der Wirtschaft

Mit Staatshilfen werden dort Standortnachteile wie hohe Energie- und Arbeitskosten öffentlichkeitswirksam ausgeglichen. Diese Subventions-Milliarden für Chipfabriken hätten besser direkt in die Entlastung von Betrieben gesteckt werden können. Dass das in diese Richtung gehende Minipaket des Wachstumschancengesetzes im ersten Anlauf in die Hose gegangen ist, zeigt, wie sehr dieser Regierung der Kompass für die Förderung der Wirtschaft fehlt.
Seit zwei Jahren misst das Münchner Ifo-Institut das sogenannte Selbständigen-Geschäftsklima, die Stimmung bei  Soloselbständigen und Kleinstunternehmern. Dieses Geschäftsklima ist jetzt erneut gesunken, zum vierten Mal hintereinander. Das heißt: Ein Annus Horribilis aus sinkenden Einnahmen und fehlenden Perspektiven für Selbständige und kleine Firmen in Deutschland zeichnet sich ab. Wer ihnen helfen will, muss die mühsame Arbeit machen: Bürokratie und Regulierung abbauen, Steuerverrechnungen erleichtern, Investitionen auch auf kleinem Niveau erleichtern. Dazu bräuchte Deutschland einen Wirtschaftsminister, der seinen Namen verdient.   
Klemens Kindermann
Klemens Kindermann ist seit 2009 Abteilungsleiter Wirtschaft und Gesellschaft und seit 2012 stellvertretender Chefredakteur beim Deutschlandfunk. Von 1991 bis 1997 war er Redakteur und Korrespondent der Deutsche Presse-Agentur (dpa). Danach wechselte er 1997 zur Wirtschafts- und Finanzzeitung "Handelsblatt", wo er als Fachredakteur, Desk-Chef im neu geschaffenen Newsroom und ab 2004 als stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft & Politik tätig war.