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Kommentar zu Günter Grass' Laudatio auf den Friedenspreisträger Yasar Kemal

Nichts Neues sagte Günter Grass in seiner Rede heute vormittag anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Aber eine große Rede zeichnet sich nicht dadurch aus, daß sie Neuigkeiten enthält, sondern daß sie aus deutlichen Worten besteht und an der richtigen Stelle gehalten wird. Die Frankfurter Paulskirche ist nicht nur wegen ihrer republikanisch-demokratischen Geschichte ein besonderer Ort, sie ist es auch als Tribüne jenes Preises, der dem Wirtschaftsstandort Deutschland wenigstens einmal im Jahr die Dimension einer Kulturnation vermittelt: eines Preises, dessen Laureaten zwar manches Mal umstritten waren, der aber doch seit seiner Gründung vor 47 Jahren mit schöner Kontinuität Einspruch gegen und Einmischung in das politische Geschehen und Geschäft betrieb.

Burkhard Müller-Ullrich |
    Grass hat vor einem Parkett aus Würdenträgern dieser Republik und vor dem Fernsehpublikum dieser Nation eine große, eine politische Rede gehalten. Er nahm die Laudatio auf Yasar Kemal, den türkischen Schriftsteller und diesjährigen Friedenspreisträger, zum Anlaß, nicht nur ein paar Dinge über das unter dem Horizont von Ausländerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft immer prekärer werdende Verhältnis zwischen Deutschen und Türken zu sagen, sondern auch über die staatlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Am Ende griff er die - wie er sie nannte - "Regierung Kohl/Kinkel" dafür an, daß sie seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik dulde, und prangerte ein - wiederum wörtlich - "so schnelles wie schmutziges Geschäft" an, das darin bestanden habe, nach 1990, als uns die Gunst der Stunde die Möglichkeiten einer deutschen Einigung eröffnet habe, Panzer aus den Beständen der ehemaligen Volksarmee der DDR an die Türkei zu liefern.

    Nun kann man, und dies werden die Gegner von Günter Grass nicht versäumen, in der Empörung des Schriftstellers eine gewisse politische Unlogik entdecken. Dabei muß man ja nicht so weit gehen wie CDU-Generalsekretär Hintze, der Grass umgehend des "intellektuellen Tiefststandes" bezichtigte. Aber wie soll sich die Bundesrepublik zu ihrem Nato-Bündnispartner stellen? Soll die Türkei, deren Territorium zu Zeiten des Kalten Kriegs ein nicht unwichtiges Schutzschild des Westens war, mit einem paktinternen Embargo belegt werden? Soll man das Land, nach Yasar Kemals Worten ohnehin nur eine "Spielzeugdemokratie", die "das Gesicht der Demokratie noch nie gesehen" habe, behandeln wie eine Bananenrepublik? Gerade solche Bevormundung werden die Türken, die ja immerhin in freien Wahlen ihre Regierung bestellen, sich verbitten - und mit Recht. Der Demokrat und Republikaner Grass kann dies schlecht ignorieren.

    Andererseits herrscht eine Art Bürgerkrieg in der Türkei, und es steht den europäischen Regierungen wohl an, auf dessen Beendigung zu drängen. Nur wären die engagierten Sätze unseres repräsentativsten Schriftstellers in dieser Sache noch überzeugender gewesen, hätte er den Terror der Kurden, beziehungsweise ihrer politischen und militärischen Führung nicht gänzlich unerwähnt gelassen.

    Doch wie auch immer die Diskussion um die Frankfurter Rede von Günter Grass noch im einzelnen verlaufen mag, die Tatsache, daß die Diskussion stattfindet, beweist den Impakt dieser Rede, und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat gute Gründe, diesen Umstand in einer eilig nachgeschobenen Pressemeldung zu begrüßen. Er hatte sich mutig für einen politisch heiklen Preisträger entschieden und riskiert, daß während Grass' Rede ein Teil des Publikums begeistert klatschen und ein anderer stocksteif dasitzen würde. Denn eben darin lag die Größe dieser Rede: daß sie die zwischen der Türkei und Deutschland liegenden Probleme rhetorisch in Fluß brachte.

    Im Anschluß an die Preisverleihung zitierte Yasar Kemal ein Wort des aus Anatolien stammenden Philosophen Thales, das lautet: "Die Menschen, die Lieder machen, können mehr bewirken als die Menschen, die Gesetze machen." - Ein schönes Wort an die Politiker!